Typisch Kiwi am Ende der Welt

Viele Besucher werden von der Vielfalt der Naturschönheiten magisch angezogen. In den letzten 20 Jahren haben sich die Zahlen der Besuche von Touristen von 1,5 auf 3,5 Millionen (2016) mehr als verdoppelt.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Und in welchem Land auf der Welt kann man Berglandschaften wie in den Alpen mit mehr als ein Dutzend Dreitausender Gipfel einschließlich einiger Gletscherfelder finden und zugleich endlos weiße Sandstrände am südlichen Pazifik? Doch es besteht ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass die Fangemeinde dieses Landes stetig wächst. Man kann es als das Lebensgefühl der Menschen beschreiben, als die Atmosphäre, die im Land herrscht, eine Mischung aus Freiheitsgedanken und Nonkonformismus, der sich allerdings auf ganz praktische Ordnungsprinzipien stützt.

Souveräne Sicht auf eigene Geschichte

Jeder Besucher im Südpazifik, der sich die Zeit nehmen kann, einige Wochen in Neuseeland unterwegs zu sein, wird auf die Kultur und die Geschichte der Maori treffen, der Ureinwohner des Landes. Die Maori waren vor 700 Jahren die ersten Besiedler des Eilands und prägen bis heute das Gesicht von Neuseeland. Es spricht für die Souveränität der Neuseeländer und für die über Jahrzehnte gewachsene Autorität der Maori in der Gesellschaft, wie sie mit den Ureinwohnern in ihrem Land umgehen. Auf der Nordinsel in der Nähe von Paihia wurde am 6. Februar 1840 vom Vertreter der britischen Krone, William Hobson sowie von 43 Maori-Häuptlingen der Vertrag von Waitangi geschlossen. Dieser Vertrag wird heute von den Neuseeländern als Unabhängigkeitserklärung ihrer Nation betrachtet, in der Weiße und Maori gleichberechtigt sind und der Tag der Unterzeichnung wurde zum nationalen Feiertag gekürt. Die modern gestalteten Ausstellungsräume im Haus des Waitangi-Vertrages dokumentieren mit akribischem Realismus das Zustandekommen und den Inhalt des Vertrages. Viele der stolzen und selbstbewussten Häuptlinge der Maori-Stämme wurden damals nicht gefragt oder verweigerten die Unterschrift. Die britischen Emissäre aus London drückten auf Tempo, denn auf der Südinsel, so berichten Historiker, waren Schiffe der Franzosen mit Siedlern dabei, eine Landnahme unter der Trikolore anzubahnen. Und der Union Jack war überall schneller aufgepflanzt und die Franzosen kamen wieder einmal zu spät.

Kriegstanz Haka für Touristengruppen

Hier in Waitangi wird im Wharenui, dem großen Versammlungshaus der Maori, für die Touristen auch Folklore geboten. Es treten wild entschlossene Krieger mit Speeren und Messern auf, die für die Besucher den rituellen Kriegstanz Haka zelebrieren. Ein Tanz, der den Maori früher auch zur Begrüßung und Unterhaltung diente, in jedem Fall Freund wie Feind einschüchtern will. Dazu schauen die in Gesicht und Körper mit grellen Farben bemalten Tänzerinnen und Tänzer grimmig ins Publikum, reißen weit ihre Augen auf, stampfen mit den Füßen auf dem Boden und stecken wiederholt ihre Zunge weit heraus. Sie bewegen sich hier in Waitangi unter Begleitung eines Gitarrenspielers mit roten und weißen Softbällen an langen Bändern wie Cheerleader in der Football-Arena. Übrigens haben die recht erfolgreichen Rugbyspieler der neuseeländischen Nationalmannschaft, die "All Blacks", den Haka vor dem Anpfiff jedes Länderspiels aufgeführt und den Tanz international bekannt gemacht. Für die weißen Spieler, die keine Maori-Wurzeln haben, ist es eine große Ehre, den Haka mitzutanzen. Von der gegenwärtigen Bevölkerung von 4,2 Millionen besitzt jeder siebente Neuseeländer Maori-Vorfahren. Im Straßenbild von Auckland oder Wellington ist das auch ungeachtet von tausenden Touristen aus aller Welt durchaus sichtbar. Die Sprache der Maori ist neben Englisch zur Amtssprache aufgestiegen, viele hundert Orte im Land tragen Maori-Bezeichnungen. Es existieren Maori Universitäten und es gibt sogar einen staatlichen Fernsehkanal, der ausschließlich Maori-Themen in ihrer Sprache sendet.

Ein Töpfer baut eine Schmalspurbahn

Es ist eine dieser Geschichten aus Neuseeland, in der Freiheit im Denken und grenzenlose Eigeninitiative etwas Ungewöhnliches schafft, typisch Kiwi. Barry Brickell ist stolzer Besitzer einer Töpferwerkstadt sowie 22 Hektar hügeligen Landes auf der Nordinsel. Er ist Eisenbahn-Freak und kommt auf die Idee, eine kleine Schmalspur-Bahnlinie auf seinem Grund und Boden zu bauen, um nur ein paar hundert Meter Material für die Töpferei bequem zu transportieren. Doch nach erfolgreichem Beginn wollte er mit der Weiterführung des schmalen Schienenstranges nicht mehr aufhören. Insgesamt baute er nahezu allein einschließlich Landvermessung und Planung insgesamt drei Kilometer Strecke mit Viadukten, drei kurzen Tunnel sowie fünf Umkehrpunkten, um die Steigungen der Schmalspurbahn zu ermöglichen.

Den Endbahnhof mit mehreren Stockwerken und einer Aussichts-Plattform nannte Barry mit ironischem Verweis auf den Pariser Eiffelturm einfach Eyefull Tower. Ein Wegweiser mit der Entfernungsangabe 20.000 km bis Paris ist für alle die Besucher aufgestellt, die sein Wortspiel mit dem Eiffelturm nicht gleich kapieren. Anfang der 90er Jahre fuhren die ersten Fahrgäste mit seiner Driving Creek Railway, heute pro Jahr 50.000. Das Grab des Töpfers und Eisenbahners Brickell, der 2015 mit 80 Jahren starb, befindet sich auf einem Anstieg nahe an der Schiene seiner Schmalspurbahn.

Der grüne Abenteuer-Spielplatz

In den Reiseprospekten wird Neuseeland häufig als der weltweit grüne Abenteuer-Spielplatz deklariert und tatsächlich wird nicht zu viel versprochen. Eine Kostprobe kann der Besucher schon in der Millionenstadt Auckland nehmen, wenn er sich in der City ein paar Minuten an der Haltestelle Kreuzung Victoria/Federal Street postiert. Die Haltestelle befindet sich direkt neben dem Sky-Tower, einem Wahrzeichen der Stadt. Irgendwann bildet sich ein kleiner Menschenauflauf, nach ihrem Aussehen meist Touristengruppen. Allen gemeinsam ist, dass sie nach oben schauen. Der Sky-Tower hat auf 194 Meter Höhe eine Plattform für den Sky jump. Die Springer werden in einem Tragegestell mit Seilen fest eingebunden. Der Sprung in die Tiefe endet drei Meter über dem Erdboden auf einer Rampe, wo der Springer vom Sprung-Team empfangen und mit Beifall begrüßt wird. Schaulustige bleiben stehen, für die Einheimischen ist es Alltag und keinen Blick wert.

14.000 Erdbeben im Jahr

Auf dem Weg in die Berge der Nordinsel nach Whakapapa Village erreicht man den kleinen Ort Turangi. Hier erfährt der Besucher im Vulcanic Aktivity Centre etwas über Vulkane, Geysire und vor allem die Erdbeben. Insgesamt werden 14.000 Erdbeben pro Jahr in Neuseeland registriert, die allermeisten kaum spürbar. Etwa 150 Erdbeben haben nach der Momenten-Magnituden-Skala die Stärke 4 und zwei erreichen sogar die Stärke 6. Die Statistik spricht davon, dass durchschnittlich alle zehn Jahr ein Erdbeben der Stärke 7 zu erwarten ist. Die Ursachen liegen hauptsächlich in der Lage der tektonischen Platten, der australischen und der pazifischen, die längsseits durch Neuseeland führen. Es gibt auch Anleitungen, wie man sich bei Erdbeben verhält: 1. hinhocken auf die Knie, 2. den Kopf ganz tief einziehen und 3. möglichst an einem Möbelstück festhalten.

Beben im Simulator erleben

Am spannendsten ist in einem Ausstellungsraum ein Erdbeben-Simulator, eine Kabine mit zwei Sitzbänken. Nach dem Drücken des Startknopfes wird einige lange Sekunden ein Beben der Stärke 6,3 erzeugt. Die Besucher werden durchgeschüttelt. Betätigt man einen roten Knopf, stoppt der Simulator. Die Chance hatten die Bewohner von Christchurch im Februar 2011 nicht, als ein Erbeben gleicher Stärke 6,3 ihre Innenstadt zerstörte und 185 Menschenleben kostete. In der Stadt erinnert eine eindrucksvolle Gedenkstätte mit 185 weißen Sesseln und Stühlen darunter auch Kinderstühle und Bürostühle an die Opfer. Im Durchschnitt ereilt Neuseeland alle zehn Jahre ein schweres Erbeben der Stärke sieben. Doch die vielen Neuseeland-Fans können sich trösten: die in jedem Jahr stattfindenden tausenden von kleinen Beben sind kaum wahrnehmbar.

Weinland im Südpazifik

Neuseeland ist auch ein Land des Weinanbaus. So werden auf der Nordinsel bei Napier wie in Europa auch Touren zu den Weingütern angeboten. Stationen auf der Weinrundfahrt sind das Weingut "Mission", 1851 gegründet und Eigentum der katholischen Kirche sowie die Weingüter Church Road, Linden Estate und Esk Valley. "Wine is bottled Poetry" wird der Dichter R. Louis Stevenson an der Wand eines Verkaufsraumes in einem Weingut zitiert. Ein Geheim-Tipp für Weinliebhaber auf der Südinsel ist die Weinstraße Sunset Valley. Hier ist das traditionelle Weingut "Moutere Hills Vineyard" in wunderbarer Natur angelegt. Die Besucher sitzen in einem Garten des Weingutes, schauen auf die Weinfelder, oft spielt Musik live von einem Gitarrenspieler. Das Weingut macht auch Werbung für das wenige Kilometer entfernte historische Dorf Upper Moutere. Hier findet man Spuren von deutschen Einwanderern auf dem Friedhof der Dorfkirche mit einigen deutschen Namen auf Grabsteinen. Im kleinen Ort existiert noch das Moutere Inn. Es wurde 1850 durch den deutschen Einwanderer Cordt Bensemann gegründet und wird als das älteste Pub in Neuseeland ausgewiesen. Neuseeland kommt mit seiner für das Land beträchtlichen Weinproduktion nur auf einen weltweiten Anteil von 0,3 Prozent. Doch für den Touristen ist entscheidend, dass der sehr gute Rotwein nicht nur auf den Weingütern, sondern in guter Auswahl überall im Land zu kaufen ist.

Schafe scheren

Auf einem echten Dampfschiff, der "TSS Earnslaw" - 1912 in Betrieb genommen und das einzige mit Kohle befeuerte Dampfschiff der südlichen Hemisphäre - geht die Fahrt über den Wakatipu-See zur Walter Peak High Country Farm. Das Schiff tutet so laut wie drei Dampfloks zusammen und spuckt dunkle Wolken in den blauen Himmel. Die Fahrgäste hören exklusiv, wie der Heizer mit der Schaufel den Kessel mit Kohle befeuert. Es riecht nach meiner Jugend, als ich noch in Brandenburg mit Dampfloks unterwegs war. Das Schiff ist voll in der Hand chinesischer Touristen, die mehr als die Hälfte der Passagiere stellen. Der Lautsprecher auf dem Schiff gibt Informationen in chinesischer Sprache, übrigens auch in Deutsch. Die Chinesen sind in der Mehrzahl in großen Familien mit drei Generationen und einem Kind unterwegs. Auf der Farm steht das Scheren eines Schafes auf dem Programm. Ein Schafscherer soll durchschnittlich 200 - 400 Tiere in acht Stunden von der Wolle befreien, der Rekord in Neuseeland liegt bei über 600 Schafen. Die Tiere werden alle sechs Monate geschoren. Vor dem aufgereihten Publikum an Touristen führt eine "Schaf-Frisöse" ihr Können vor. Die Schafe machen ihrer Gemütsart alle Ehre und sind sehr geduldig.

Das Kreuz des Südens

Mitten im Herzen der Südinsel zwischen den schneebedeckten Gipfeln der Südalpen und den schier endlosen Graslandschaften befindet sich das Aoraki Mackenzie County. Diese Region auf 700 Meter Höhe hat einen einzigartig klaren Himmel. Im Jahr 2012 wurde das 4.300 Quadratkilometer große Gebiet zum International Dark Sky Reservat erklärt, das einzige seiner Art in der südlichen Hemisphäre. Auf dem 1.000 Meter hohen Mt. John wurde das führende astronomische Forschungszentrum Neuseelands errichtet. Das Observatorium kann man auf einer Serpentinenstraße bequem mit dem Auto erreichen. Hier oben ist ohne künstliches Licht der Nachthimmel besonders gut zu beobachten. Die ersten zwei Lektionen, die der laienhafte Sterne Gucker lernt, wenn er die Sterne und Galaxien betrachtet und die Milchstraße sieht: Nur in der südlichen Hemisphäre ist das markante Sternzeichen, das Kreuz des Südens, mit seinen vier hellen Sternen zu erblicken. Auch die sauberste Luft Neuseelands kann nicht helfen, wenn der Sternenhimmel durch Wolken verdeckt ist.

Text und Fotos von Ronald Keusch

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