In Namibia, das doppelt so groß wie Deutschland ist, herrscht das typische Halbwüstenklima. Viele Touristen kommen ins Land, um die Tiere in der Wildnis Afrikas zu beobachten und reisen in der Trockenzeit von Mai bis Oktober.
Gästefarmen haben Konjunktur
Die Zahl der Touristen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und rangiert gegenwärtig bei mehr als eine Million Einreisen im Jahr. Es ist wenig verwunderlich, dass der Tourismus nach dem Bergbau (Diamanten, Gold, Uran u. a.) der zweitwichtigste Wirtschaftszweig ist. Dementsprechend hat sich vom Jahr 2004 die Anzahl der Unterkünfte nahezu verfünffacht und liegt jetzt bei bei mehr als 2.150 Hotels, Lodges, Campsites und Guestfarms. Auf dem Land gibt es vor allem die typischen afrikanischen Lodges mit einer grandiosen Lage und recht hohem Standard der Quartiere, erlesener Küche und in der Regel einem Pool. Im Trend besonders bei den Besuchern aus dem deutschsprachigen Raum sind die traditionellen Gästefarmen.
Kaffeerunde mit Elsie und Dani
Die Vreugde Gäste Farm liegt im Norden Namibias, nur 30 Auto-Minuten vom Etoscha-Wildpark entfernt. Sie gehört zu den Quartieren, bei denen die Gastgeber-Familie die ankommenden Touristen gleich herzlich und persönlich empfängt. Die Frau des Hauses Elsie plaudert mit allen wie mit alten Bekannten und ihr Mann Dani kümmert sich ums Gepäck. Haben die Gäste ihr Haus mitten im üppigen grünen Garten mit hohen Palmen und rot blühenden Sträuchern bezogen, setzen sich alle an eine große Kaffeetafel. Die Hausherrin hat einen Schokoladenkuchen gebacken. Zwei Wienerinnen an der Gästetafel meinen, dass der Kuchen jederzeit mit den Konditoren im Wiener Kaffeehaus mithalten kann. Elsie freut sich über das Lob. Am Tisch wird wie selbstverständlich deutsch gesprochen. Die übergroße Mehrzahl bis zu 80 Prozent der Gäste kommen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Da bleibt die Gastgeber-Familie Brand in Übung.
Früher war der Wildpark vor der Haustür
Mittlerweile lebt bereits die dritte Generation auf der Farm. Das junge Ehe-Paar, Rachel, eine gebürtige Engländerin und studierte Zoologin und Daniel, der in Namibia geborene Farmer-Sohn, werden den Staffelstab übernehmen. "Als mein Opa damals die 8.000 Hektar große Farm kaufte, existierten weder Zäune noch die Teerstraße in 15 Kilometer Entfernung, es stand kein einziges Haus auf dem Farmgelände und natürlich gab es auch keinen Strom. Bis vor zehn Jahren setzten wir noch einen Dieselgenerator für die Erzeugung von Strom ein," erzählt Daniel. Um wie heute wilde Tiere wie Elefanten und Giraffen und sogar Löwen zu beobachten, musste niemand in den Etoscha-Wildpark fahren. Da reichte es manchmal schon, intensiv aus dem Fenster des Farmhauses zu blicken. Jetzt hat die Farm noch eine Größe von 3.300 Hektar, die ausreichende Weidefläche für 300 Rinder und 100 Schafe. Auch die traditionelle Arbeitsteilung praktizieren die jungen Leute. Der Ehemann Daniel arbeitet auf der Farm und Rachel kümmert sich um die Buchführung und die Touristen, die sie in komfortablen kleinen Häuschen in ihrem wunderschönen Garten untergebracht haben.
Keine Apartheid im Busch
Rachel und Daniel halten auch an einer anderen Tradition ihrer Buren-Familie fest. Schon ihre Eltern pflegten einen sehr engen Kontakt zu Familien der hier lebenden Stämme. Sie beschäftigten die Männer in der Viehhaltung und ihre Frauen in der Küche und im Service. Die Buren-Familie baute gemeinsam auf ihrem Farmland für sie Häuser zur Unterkunft. Die in Namibia durch Südafrikanische Apartheidpolitik verordnete Rassentrennung und Vertreibung fand hier im Busch nicht statt. "Ohne unsere schwarzen Familien würden wir unsere Arbeit nicht schaffen. Wir leben mit einigen schon Jahrzehnte hier ganz selbstverständlich zusammen und haben sie in unser Leben auf der Farm integriert. Übrigens vorige Woche unternahmen wir alle zusammen einen Ausflug in den Etoscha-Park, sozusagen einen Betriebsausflug", sagt Rachel. "Das Zusammenleben von Weiß und Schwarz ist im heutigen Namibia immer mehr anzutreffen, aber leider noch nicht überall im Land Normalität." Jetzt wünschen sich alle Regen für das karge Grasland ihrer Farm und für ihre Rinderherde. Es sind schon Wolken am Himmel aufgezogen, aber plötzlich kommt stärker werdender Wind auf. Farmer Dani nennt ihn etwas spöttisch und auch ärgerlich den Bankrott-Wind. Er weht den Farmern den dringend benötigten Regen in den Wolken wieder nach Westen in Richtung des Atlantiks.
Der Natur-Wildpark sind die Kronjuwelen
In Namibai sind viele bezaubernde Naturlandschaften und Sehenswürdigkeiten zu entdecken, die Küstenlandschaft mit der kleinen von deutschen Kolonisten geprägten Hafenstadt Swakopmund, die 300 Meter hohen Dünen von Sossusvlei oder die berühmten Felsmalereien von Twyfelfontein. "Doch das große Ziel der Touristen im Land ist und bleibt das Kronjuwel des Touristen-Landes Namibia, der Etoscha-Park.", stellt Reiseführerin Uschi Kirchner klar. Die gebürtige Deutsche lebt seit 25 Jahren im Süden Afrikas und arbeitet in Botswana und Namibia in der Reisebranche. Die Hauptgründe für das erfreuliche Wachstum der Touristen liegt in den relativ stabilen politischen Verhältnissen, einer verhältnismäßig guten Infrastruktur, wozu sie auch die gute Ausschilderung der Straßen im Land zählt. Fast überall im Land besitzt das Wasser Trinkqualität. Das kommt den vielen Individual-Reisenden zu Gute, die auch zunehmend Camping-Plätze bevölkern.
Schwarzbrot und Jugendstil
Obwohl Italiener, Franzosen, Russen und Spanier aufholen, liegt nach wie vor der Anteil der Deutschen an der Gesamtzahl der Touristen sehr hoch, so Kirchner, mindestens bei 75 Prozent. Das hat doch viel mit den Spuren der 31 Jahre währenden deutschen Kolonialgeschichte zu tun. Sie sind noch überall im Land zu finden, aber besonders in kleinen Städtchen wie Swakopmund aufzuspüren, mit den deutschen Kolonialbauten, zum Teil in neoromantischem Stil und Einflüssen vom Jugendstil, mit deutschen Namen auf Straßenschildern, mehreren Schwarzbrotsorten und Kuchen von deutschem Bäcker-Handwerk, mit Leberwurst und Mortadella vom deutschen Metzger und nicht zuletzt nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrautes deutsches Bier wie Windhoek Lager oder Tafel Lager. Aber wie viele Touristen kann der Wildpark Etoscha im Norden Namibias noch verkraften?
Noch genug Platz im Etoscha-Park
Der Nationalpark besitzt mit mehr als 22.000 Quadratkilometer mehr als die Hälfte der Fläche der Schweiz und ist von einem mehr als 800 Kilometer langen Zaum umgeben. Im Park sind über 700 Kilometer unbefestigte Pisten angelegt, die mit Kleinbussen und privaten Mietwagen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang befahren werden. Der Wildpark sollte in seinem westlichen Teil mehr ausgebaut werden, um die Besucher besser zu verteilen, gibt Kirchner zu Bedenken. Doch noch sei in den nächsten Jahren hier im Etoscha wie überall im Land noch viel Platz.
Löwenjagd mit der Kamera
Ein Problem im Park ist die permanente und teilweise angestrengte Jagd der Besucher auf die Wildtiere - mit den Kameras. Die allermeisten Touristen sind auf Löwenjagd. Die Löwen suchen sich besonders in der Hitze des Tages oft einen Schattenplatz unter einem Baum nahe von einem Wasserloch. An diesem Tag hat sich ein König der Tiere im Schatten eines Abfluss-Rohres direkt an der Auto-Piste gelegt und hält Mittagsschlaf. In nur kurzer Zeit haben sich an dieser Stelle der Straße zwei größere Safari-Busse, ein Kleinbus und acht PKW eingefunden. Sie stellen sich an den Rand des Weges und blockieren sich gegenseitig, weil jedes Fahrzeug noch ein kleines Stück Fell vom Löwen mit dem Objektiv ergattern will. Im Park darf niemand aussteigen, um so größer ist der Mut und die Aufregung. Ein erster Rückspiegel geht zu Bruch. aber: es wird geredet, gelacht, Geräusche von klickenden Kameras - kein leichtes Tierleben im Park. Doch der Löwe an seinem Schattenplatz lässt sich nicht stören.
Kochrezept auf dem Kopfkissen
Die jungen Leute Rachel und Daniel pflegen die Markenzeichen ihrer Gästefarm. Dazu zählt die burische Küche ihrer Großeltern und Eltern, die wie die Buren selbst neben dem holländischen, auch immer einen deutschen und französischen Teil in sich tragen. Die burische Küchenkunst haben hier auf der Farm schon lange die dunkelhäutigen Frauen weiter verfeinert. Im Nachgang zu den Köstlichkeiten des abendlichen Mahls liegt am nächsten Tag in den Häusern der Touristen ein kleiner Rezept-Zettel auf dem Kopfkissen. Zum Mitnehmen nach Hause, mit der Internetadresse der Vreugde-Farm. Damit die Touristen im fernen Europa wieder Appetit auf Afrika bekommen, auf glitzernde Sonne in der Savanne und die Tier-Karawanen in der Wildnis, die mit stoischer Ruhe zu den Wasserlöchern ziehen oder auf den süßen Duft, der in der Luft der Abende liegt und von einem Konzert der Zikaden eingerahmt wird.
Text und Fotos von Ronald Keusch