Kurz noch mal ins Paradies

Kurz noch mal ins Paradies, bevor die Welt in dunkler Corona-Nachrichtenflut versinkt, dachte ich am 12. März, und buchte für tags darauf ein Ticket nach Mallorca.
Foto von Veronika Zickendraht
Foto von Veronika Zickendraht

Mit Maske auf der Nase hatte ich an diesem Morgen im Flughafen Tegel noch ein Alleinstellungsmerkmal. Nur ein Sicherheitsbeamter zeigte mir mit Daumen hoch seine Anerkennung. Als vor dem Start ein Flugbegleiter auf mich zusteuerte, wurde es richtig peinlich. Ich glaubte nicht richtig zu hören, als er aus anderthalb Metern Sicherheitsabstand verlegen nuschelte: "Verzeihen Sie, Passagiere baten mich, Sie zu fragen, ob Sie eine bereits "Infizierte" sind?" Drei Reihen hinter mir sorgte meine grüne englische FFP3 Maske für aufgeregte Verunsicherung. Die Herrschaften dachten, eine mit so professioneller Maske könnte doch nur krank sein! In Palma lachte die Sonne. Statt schneidend kaltem "Berliner-Eiswind" empfing mich ein leichtes Frühlingslüftchen. Die Bearbeitung am Mietwagenschalter lief zügiger als gewohnt. Doch als man mir meine Fahrzeugpapiere mit dem Satz: "Machen Sie schnell, hier wird in einer halben Stunde alles dicht gemacht", aushändigte, war ich so irritiert, dass ich mir keine weitere Frage erlaubte. Völlig verunsichert dachte ich: Auf der Insel ist es anscheinend auch nicht mehr heil. Auf der Fahrt bemühte ich mich, kühl im Kopf zu bleiben. Zu meinem Sehnsuchtsort Sóller, so zeigte mein Display, waren es gerade mal 45 Minuten. Erst bei der letzten Abzweigung rechts zur Finca Ca N'ai, einer autobreiten, vielleicht drei Kilometer langen Zufahrt, die ich im Schritttempo nahm, setzte wieder meine Vorfreude ein. Das Vogelgezwitscher übertönte das Motorbrummen, die Schlaglöcher waren Teil des wildwuchernden Pflanzendschungels, und der Duft der Zitronenblüten hob meine Stimmung.

Das ausgelassene Lachen Amelias, das bis auf den Parkplatz zu hören war, versöhnte mich mit der Welt. (Übrigens fand die angekündigte Flughafenschließung überhaupt nicht statt). Das um 1733 erbaute Landgut der Morells ist seit 14 Generationen in Familienbesitz. Amelia ist das erste weibliche Familienmitglied, der man die Führung anvertraute. Bis zum 15. März schloss sie jeden neuankommenden Gast in den Arm. Ihre südländische Lebensfreude brach immer durch.

Was überwiegt dachte ich: Der Zitronen-oder der Orangenblütenduft? Roch ich den Geruch der dunklen Erde? Hatte ich je zuvor das satte Grün der Steineichen, das silberne hellgrüne Laub der Olivenbäume und die vertrockneten Palmenblätter so intensiv wahrgenommen? Die verspielte, verschachtelte Architektur der Finca hätte ich anderswo mit "viele Anbauten" charakterisiert. In Ca N'ai war ich verzaubert. Auf der Terrasse wusste ich nicht, auf welche Sitzgruppe ich zusteuern sollte, welcher Ausblick noch schöner sein könnte? Der eiskalte Weißwein aus Binissalem, so glaubte ich, kann nirgendwo besser schmecken. Das Anwesen umfasst 12 Hektar und wird heute wie vor 300 Jahren landwirtschaftlich genutzt. Im März war man gerade dabei, Felder zu pflügen, um den Anbau von Alovera zu vergrößern. Die Finca verfügt über 28 Suiten und natürlich gleicht keine der Anderen. Alles ist inspiriert von der grünenden Umgebung. Die Rankenmalereien in den Räumen brachte grünen Charme ins Haus. Die kreativen Bäder fühlen sich an wie sinnliche Feuchtbiotope. Im großzügigen Interieur spiegelt sich der einstige Reichtum des mallorquinischen Landadels wider.

Für einen lauen Abendspaziergang ist der kleine Pfad, der mitten durch Felder und blühende Büsche zum gut zwei Kilometer entfernten Strand führt, eine reine Freude. Wer den Weg verkürzen möchte, kann nach 500 Metern an der Hauptstraße zur Tramhaltestelle abzweigen. Seit 1913 fährt die historische elektrifizierte Bahn (selbst in Ausnahmezeiten) im Halbstundentakt direkt ins Herz von Sóller. Ein Jahr zuvor, 1912, hatte man den roten Blitz gebaut. Die Schmalspurbahn verbindet Sóller mit der Plaza de España in Palma. Die 28 Kilometer lange Strecke führt durch 13 Tunnels und eine atemberaubende Landschaft. Ursprünglich diente sie dem Transport von Orangen.

Am 15. März wurde das Paradies geschlossen. Alle Medien-Kanäle verkündeten ein "striktes Ausgangsverbot". Die 3. Regierungs-Verordnung zeigte, wie ernst die Lage war. Alle Gäste wurden aufgefordert, den schnellstmöglichen Rückflug zu nehmen. Amelia verkündete beim Frühstück: Alle Gäste müssen die Finca verlassen. Man bereite gerade den Abschiedsbrunch vor. Bei der Umbuchung der Rückflüge würde man behilflich sein. Auch dabei, ein Ausweichquartier zu finden Dann kam noch ein kleiner Nebensatz: "Die Polizei überwacht alle Straßen und Strände."

Auf der Insel waren noch einige Engel aktiv. Germán Roldàn, der Direktor dieser Finca, könnte ein Erzengel gewesen sein. Drei Tage vor dem Shut-down buchte das Mallorquinische Presseamt als "zweiten himmlischen Platz noch ein Nobellandhaus in Cas Concos im Südwesten der Insel. Der strengen Maßnahmen wegen, und da sich ad hock kein Rückflug finden ließ, wurde daraus eine Goodwill-Aktion. Als mich Germán bei meinem Anruf bat, ihm die genaue Uhrzeit meiner Ankunft mitzuteilen, da er mir aufschließen müsse, dämmerte mir der Ernst der Lage. Sämtliche Restaurants stellten am gleichen Tag den Betrieb ein. Ein Supermarkt, den ich unter freundlichen Umständen umgangen hätte, war für die nächsten drei Tage die einzige Ernährungsquelle. In einem 700 Jahre altem mallorquinisches Landhaus mit antikem Herrschaftsmobiliar zu wohnen, dass kilometerweit keine weitere Ansiedlung aufweist, hatte etwas Erhabenes. Aber auch zugleich etwas "Spukiges". Das schmiedeeiserne Gittertor, das sich elektronisch, wie von Geisterhand, hinter mir schloss, sobald ich den Parkplatz erreicht hatte, verstärkte das Empfinden totaler Abgeschiedenheit. Ein Erlebnis, das bisher kein Reiseveranstalter im Angebot hatte. Die Stille wurde nur durch das Krähen eines Hahns und ab und an vom Pferdewiehern der schwarzen, reinrassigen, mallorquinischen Pferde durchbrochen. Vor 150 Jahren war diese Rasse in Palma das Fortbewegungsmittel für die beritten Polizei. Nach der Motorisierung war diese spezielle, gutmütige Rasse, die einer Kreuzung zischen Maultier oder Eseln entstammte, beinahe ausgestorben. Bis sich vor 20 Jahren wieder einige Züchter an diese "Schönheiten" erinnerten. Heute gibt es bereits wieder 280 Tiere dieser Art im Süden der Insel. Im Februar, just zu dem Zeitpunkt, da Sa Galera die Pforten für ihre Gäste öffnet, blühen rings um die Finca 5.000 Mandelbäume. Schneeweiß. Ein paar Wochen später verweht der Wind das vertrocknete Blütenmeer und es sieht aus, als würde es schneien. Kurz darauf erblüht der Klatschmohn, zeitgleich die Margeriten, später Lilien und wilde Rosen. Auf den Landstraßen waren seit dem Erlass des Präsidenten Ausflügler wie vom Erdboden verschluckt. Nur ab und an kam mir ein leerer Linienbus entgegen.

Selbst die Zufahrtswege zu den Klippen um Cala Romantica und Mandragò waren seit zwei Tagen mit einem gestreiften Plastikband als gesperrt gekennzeichnet. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich keiner Menschenseele begegnen würde. Auf den schroff ins Meer stürzende Steilhängen vermutete ich eher wilde bockige Bergziegen als eine Polizeistreife. Tatsächlich sah ich in den Mastixsträuchern schwarzbraune Ziegen, die an den roten Beeren knabberten. Es pfiff ein rauer Seewind, der die Bäume nicht in den Himmel wachsen ließ. Die verkrüppelten Steineichen entlang der Pfade hatten gerade mal Bonsai-Format. An einigen Stellen duftete der wilde Thymian. Das dicke Rosmaringestrüpp blühte lila.

Seit diesen Märztagen ist mir klar geworden: Wenn die Insel zaghaft den Feriengästen den Aufenthalt wieder gestattet, wird neben Meerblick und feiner Kulinarik eine gute persönliche Gästebetreuung, wie ich sie erleben durfte, wertvoll sein. Der wirklich neuralgische Punkt an dieser Reise war nicht auf Mallorca. Er war bei der Ankunft in Berlin. Sechzig Fluggäste wurden in den Bus für dreihundert Meter Wegstrecke zur Gepäckausgabe gezwängt. Als ich zögerte einzusteigen und höflich fragte, ob der Fahrer nicht noch mal kommen könnte, rollten die bereits eingepferchten Passagiere die Augen und man dachte, von welchem Stern ich wohl kommen würde.

Text und Fotos von Veronika Zickendraht

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