Wer ihnen vor die Ruten kommt, muss mitleidlos leiden. Womöglich ein geeigneter "Betriebsausflug" für Investmentbanker, Immobilienhaie und sonstige Wuchergesellen, um sich einen kleinen Vorgeschmack für das höllische Jenseits im jungfräulichen Schnee zu gönnen. Der Nikolaus, der gute Mann, so will es der Brauch, soll dem Krampus per Zuruf Einhalt gebieten. In Großarl war dies 2019 nicht möglich. Die Kerle traten in Passen auf, also in Gruppen, deren Masken auf einen Verwandtschaftsgrad hinweisen, und waren in ihrer Übergriffigkeit nicht zu stoppen. 140 Höllenbrüder trieben wie bei einem letzten Inferno die Marktstraße hoch und runter. Selbst mit einem Megaphon hätte der Nikolaus keine Milde einfordern können. Schöne, blutjunge, blonde Mädchen sind die bevorzugten Opfer. Die Einheimischen kennen seit Kindheit die Gefahren, und rüsten sich mit dreifach dicken Hosen und wenn es sein soll: mit Knieschützern.
In Großarl, wo man in allem, was den Tourismus toppt, ganz vorne steht, hat die Maskenschnitzerei Tradition und Hochkonjunktur. Ein Business mit Qualitätsanspruch. Alles Natur. Die Ingredienzien sind ausgehöhlte Hölzer, Ruß für die Schwärze, Tierblut für das Rot der heraushängenden Zunge, Kalk für das Weiß der verdrehten Augen und jede Menge Verkohlung durch das Abbrennen von Kerzen. Meine Kindheits-Krampus-Erfahrungen aus Oberösterreich sind längst der Schnee von gestern. Der alte Pelzmantel von Oma, die irgendwo gefundene Eisenkette um den Bauch, die Maske aus Pappmasche, die bis in den Fasching hinein neben den Clown-Nasen im Papierwarenladen hing, all das würden heute schon Vierjährige belächeln. Das Krampus-Brauchtum im Salzburgerischen hat nicht nur Tradition.
Es wird sogar schon in Juniorengruppen, so ab zehnten Lebensjahr, eingeübt. Da muss Oma schon kräftig spenden. Allein die Maskerade für die Kinder kostet schon um die tausend Euro. Die Erwachsenen müssen erheblich mehr berappen. Für 1.000 Euro gibt es nur eine Maske mittlerer Grausamkeit! Vom Ganzkörperfell ganz zu schweigen. Die Brutalität muss überzeugend sein. Wen der Kramperl am Kragen packt, der spürt Sekunden später den Schleudereffekt, und gleich darauf die Rute in den Kniekehlen. Flehen nutzt nichts, der große Bruder auch nicht. Am besten ist das Spektakel aus einem sicheren Hotelfenster im zweiten, besser noch dritten Stock zu betrachten. Oder man wartet, bis der Krampus sich kaputt gelaufen hat.
Nur mehr nach Bier dürstet, und sich seine fette Schweinestelze vom Grill sichern will. Friedlich sitzen sie dann an langen Tafeln in der Marktstraße, den gefüllten Bierkrug als friedliebendes Zeichen vor sich, die Maske unterm linken Arm und in der rechten Hand den Knochen der Haxe … Von der Stirn tropft ihnen der Schweiß, vom Kinn das Fett, und als wäre nichts gewesen plaudern sie fern jeder Gehässigkeit. Über was? Ich glaube, über Fußballergebnisse. Schnee, so viel die Kanone gibt. Pulvrig unberührte Pisten, auf denen sich gerade mal eine Handvoll Skifahrer tummeln. Besonders Wochentags. Eine Idylle, wie sie im Prospekt steht. Und bezahlbar. Mit verlockenden Rabatten. Wenn es dann dämmrig wird, vielleicht noch echter Schnee rieselt, der Glühwein wärmt und die Waldhorn-Bläser Weihnachtsmelodien spielen, werden selbst die ruppigen Herzen der gewesenen Krampusse von gestern verzaubert. Durch die kleinen Gassen wuseln frierende "Engerl". Könnte sein, dass sie aus dem nur ein paar Kilometer entfernten Waggrein zugeflogen sind. Aus Waggrein, aber das weiß doch jeder, stammt das Lied von der "Stillen Nacht".
Der Weihnachtsmarkt mit gerade mal einem Dutzend Ständen, an denen es Handarbeiten, Glühwein und Christbaumschmuck gibt, darf mit keinem städtischen Weihnachtmarkt verglichen werden. Es ist still in Großarl, rechts das Museum, links ein kleiner sprudelnder Gebirgsfluss mit Eiszapfen, diese Idylle sollte sie nur lieben Freunden weitersagen.
Die Fotos sind von TVB Grossarltal