Vom Isenheimer Altar bis zur Freiheitsstatue

Colmar - eine Elsässer Kleinstadt mit reicher Kunst und Architektur.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Der Name der Stadt Colmar an der Elsässer Weinstraße verweist auf seinen historischeren Ursprung. Anfang des 9. Jahrhunderts wurde der Ort Columbarium - das heißt so viel wie Taubenschlag - erstmalig urkundlich erwähnt und gibt einen Hinweis auf die Zucht von Tauben in dieser Region, die wertvollen Dünger für die Landwirtschaft lieferten. Später wurde die Stadt als freie Reichsstadt ein Platz der Kunst und des Handwerks. Die Stadt Colmar überstand das kriegerische 20. Jahrhundert fast unbeschadet und ist heute dank seines romantischen Stadtbildes eine Attraktion für die Touristen weltweit.


Maison des Têtes

Altstadt ist eine einzige Fußgängerzone

Die Reiseführer übertreffen sich in der Beschreibung von Colmar mit Superlativen: "Kleinstadt zum Verlieben", "unwirklich schön", "idyllisches Märchendorf", "Perle des Elsass". Und tatsächlich: Das historische Zentrum von Colmar ist ein einziges Zeugnis des reichen Kulturerbes der Stadt und kündet vom einstigen Wohlstand seiner Bürger. Und da fast die ganze Altstadt zur Fußgängerzone erklärt wurde, kann man die einmalige Architektur aus der Zeit der Romanik, Gotik, Renaissance bis zum Klassizismus ungestört bewundern, es sei denn, es stehen andere Touristen im Weg. Ich treffe mich im Tourismus-Büro von Colmar mit Stadtführerin Emilie Potereau, die mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigt und viele Details erklärt. Da sind die mehr als 100 Köpfe und grotesken Masken, mit denen die Fassade und der zwei Etagen hohe Erker am Maison des Têtes, dem sogenannte "Haus der Köpfe", verziert sind. Es wurde im Jahr 1609 für einen reichen Kaufmann erbaut und beherbergt heute ein Hotel und Restaurant. Oder das Maison Pfister, die Residenz eines reichen Hutmachers, an dessen Fassade mit Erker und umlaufendem Holzbalkon sowohl Allegorien aus dem Alten und Neuen Testament als auch Porträts weltlicher Personen zu finden sind. An vielen Gebäuden in der Altstadt findet man noch Steinmetzzeichen, mit denen die Steinmetze im Mittelalter die von ihnen behauenen Steine signierten. Am Place de la Cathédrale steht mit dem Maison Adolphe das älteste Haus von Colmar, das aus dem Jahr 1350 stammen soll, mit gotischen Fensterbögen und einem zweigeschossigen Fachwerkgiebel, der zu einem späteren Zeitpunkt auf das Gebäude aufgesetzt wurde.


Klein-Venedig


Gasse im Gerber-Viertel


Maison Adolphe - das älteste Haus Colmars


Maison Pfister

Bootsfahrt durch Klein-Venedig

Die schönsten mittelalterlichen Gebäude sind in einem Viertel zu finden, das an die Ufer des kleinen Flüsschens Lauch angrenzt, und bezeichnenderweise Petite Venice - Klein-Venedig - genannt wird. Gleich nebenan liegt das ehemalige Gerber-Viertel mit seinen engen Gassen und hohen Fachwerkhäusern. Von den zahlreichen Brücken hat man den besten Blick auf die blumengeschmückten Häuser, die Terrassen am Wasser und die kleinen flachen Holzboote, mit denen Touristen die Stadt vom Wasser aus entdecken können. Leider nur eine Schönwetter-Variante, denn die Boote sind nicht überdacht. Aber da Colmar zu den sonnenreichsten und trockensten Regionen in Frankreich gehört, stehen die Chancen für eine halbstündige Rundfahrt auf dem Wasser gut.


Unterlinden-Museum im ehemaligen Kloster


Kreuzgang im Museum Unterlinden

Colmar - die Stadt großer Künstler

Wer sich von den Touristenströmen eine Pause gönnen will, findet in Colmar einen Ort der Begegnungen mit großartigen Künstlern, die mit ihren Werken den heutigen Besucher faszinieren. Ein überwältigendes Beispiel dafür ist der Isenheimer Altar im Museum Unterlinden, einer früheren Klosteranlage, mitten in der Stadt. Der Altar, ursprünglich geschaffen für das Antoniter-Kloster im rund 20 Kilometer von Colmar gelegenen Dorf Isenheim, ist ein Meisterwerk des Malers Matthias Grünewald und des Kunst-Schnitzers Niklaus von Hagenau. Sie haben Anfang des 16. Jahrhunderts die Gemälde und die Holzschnitzereien des monumentalen Doppelflügelaltars mit drei verschiedenen Schauebenen geschaffen, deren Anblick den Atem verschlägt. Ganz große Kunst der Spätgotik. Der Betrachter kann sich der ausdrucksstarken und realistischen Darstellung der Figuren nicht entziehen und versteht, warum der Isenheimer Altar von vielen als das wichtigste Werk der Sakralkunst angesehen wird. Der Altar wird 1792 von Isenheim in die National-Bibliothek nach Colmar geschafft, um ihn vor der Zerstörung durch die Französische Revolution zu bewahren. 1852 siedelt er in die Kirche des ehemaligen Dominikanerinnenklosters Unterlinden um und wird zum ersten und berühmtesten Werk des dort entstehenden Unterlinden-Museums. Von 2018 bis 2022 wurde der Altar aufwändig restauriert und erstrahlt nun in neuem Glanz. Der ultimative Besucher-Tipp.


Geschnitzter Altarschrein im dritten Wandelbild des Isenheimer Altars


Ehemaliges Stadtbad - jetzt Teil des Museums Unterlinden

Ehemaliges Stadtbad wird Museum

Neben dem Isenheimer Altar besitzt das Museum Unterlinden eine bedeutende Sammlung von Gemälden des Mittelalters und der Renaissancezeit. Dazu gehören Bilder und Kupferstiche von Hans Holbein, Lucas Cranach sowie vom berühmtesten Colmarer Maler Martin Schongauer. Sammler und Mäzene der großen Elsässischen Industriellenfamilien überließen dem Museum Werke oder sogar ganze Nachlässe. Angesichts dessen platzte das Museum Anfang der 21. Jahrhunderts aus allen Nähten. Es mussten regelmäßig Kunstwerke abgehängt und im Depot gelagert werden, die Präsentation von Sonderausstellungen war fast nicht mehr möglich. Da traf es sich gut, dass das direkt gegenüberliegende Stadtbad im Jahr 2003 seine Pforten schloss. Es wurde umgestaltet und durch einen unterirdischen Gang mit dem Museum verbunden. 2015 konnte der Erweiterungsbau eingeweiht werden. Jetzt kann die alte Kunst in den alten Klostergemäuern bewundert werden, während die moderne Kunst im ehemaligen Stadtbad eine neue Heimstatt fand. Dort sind unter anderem Arbeiten von Monet, de Staël, Picasso und Dubuffet zu sehen.


Eingang zum Hansi-Museum


Esszimmer im Museum Bartholdi

Spaziergang durch das Hansi-Dorf

Gegenüber vom Maison des Têtes befindet sich das Museum des im Elsass sehr beliebten Bilderbuchkünstlers Jean-Jacques Waltz, besser bekannt als Hansi. Der 1873 in Colmar geborene Illustrator, Karikaturist und Aquarellist Hansi war eng mit der Kultur, Geschichte und Kunst des Elsass verbunden, die ihm schon im Elternhaus - sein Vater war Kurator des Museums Unterlinden - vermittelt wurde. Er wurde schnell bekannt durch gemalte Postkarten mit Motiven seiner Elsässischen Heimat und bissigen anti-deutschen Karikaturen, die ihm sogar einige Verurteilungen von deutschen Gerichten einbrachten. Man spaziert durch das Museum wie durch ein von Hansi gezeichnetes Elsässisches Dorf und bewundert seine Werke - Postkarten, Bildbände, Poster, handbemalte Tischdecken, ja sogar Speisekarten.


Die "Stützen der Welt" im Hof des Museums


Modell der Freiheitsstatue im Museum Bartholdi

Bartholdis Museum in seinem Elternhaus

Beim Stadtrundgang wartet in einem unscheinbaren Hof das Museum für den Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi, eingerichtet in seinem Elternhaus. Es ist die bedeutendste Sammlung seiner Werke, mit Plastiken, Porträtbüsten, Gemälden und Schriften. Hier ist auch das Esszimmer nachgebildet, wie es Bartholdi in seiner Pariser Wohnung eingerichtet hatte und seine Idee zu bestaunen, die Kassetten-Decke und die Täfelung mit chinesischem Porzellan zu verzieren. Vor dem Museumseingang im Hof ist eines seiner bekanntesten Werke aufgestellt, die Bronzeskulptur Les Grands Soutiens du Monde oder Die Stützen der Welt. Zu sehen sind drei Figuren, die die Weltkugel tragen: Eine Frau, die mit einer Waage in der Hand für die Gerechtigkeit steht, ein Patriot stellt mit Schwert und Schild die Vaterlandsliebe dar und schließlich ein Arbeiter, der mit seiner Kraft den Globus auf den Schultern trägt.


Miniatur-Freiheitsstatue als Wegzeichen


Statue von General Jean Rapp

Die Top-Story - die Lady of Liberty

Für die Top-Story ist in dem Museum die gesamte zweite Etage reserviert. Sie erzählt alles rund um die von Bartholdi geschaffene Freiheitsstatue. Die Geschichte beginnt mit einer fixen Idee, die vom französischen Juristen und Politiker Laboulaye auf einem Bankett im Jahr 1865 geäußerten wurde: Man müsse anlässlich des einhundertsten Jubiläums der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1876 eine großartige Gedenkstätte errichten. Der zufällig anwesende Bartholdi ist sofort Feuer und Flamme und entwickelt verschiedene Entwürfe. Im Jahr 1871 reist er das erste Mal in die USA, um für die Idee zu werben, und sieht da auch die kleine unbewohnte Insel Bedloe‘s Island im New Yorker Hafen, die er sofort als idealen Standort für seine Monumental-Statue "Liberté éclairant le monde", oder "Die Freiheit erleuchtet die Welt" wie ihr eigentlicher Name ist, ins Auge fasst. Von 1875 bis 1884 arbeitet er wie besessen an der Statue. 1884 wird sie probemäßig in Paris aufgebaut, anschließend zerlegt und nach New York verschifft, wo sie dann 1886 eingeweiht wird. Die Figur besteht aus 300 getriebenen Kupferplatten und einem Stahlfachwerk-Trägersystem, das allein 127 Tonnen wiegt, und misst vom Fundament des Sockels bis zur Spitze der Fackel 93 Meter. Das Modell eines Ohres des Frauenkopfes im Museum lässt die Größe der Gesamtfigur erahnen.


Der junge Winzer in einer Nische der Markthalle


Statue des Lazarus von Schwendi von Bartholdi auf dem Schwendi-Brunnen

Wie sich Bewertung der Kunst ändert

Der Künstler Bartholdi ist auch in der Stadt Colmar mit seinen Werken präsent. Eine kleine Version der Freiheitsstatue steht in der Mitte eines Kreisverkehrs in Colmar, unübersehbar für jeden, der mit dem Auto von Straßburg kommend nach Colmar hineinfährt. Ein in die Pflastersteine eingelassenes Miniatur-Relief der Freiheitsstatue begleitet den Besucher auch auf Schritt und Tritt und führt ihn auf einem sechs Kilometerlangen Rundweg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Das erste von Auguste Bartholdi geschaffene Denkmal steht auf dem Place Rapp und zeigt den in Colmar geborenen späteren General in Napoleons Diensten Jean Rapp. Bei seiner Einweihung im Jahr 1854 war Bartholdi noch nicht mal 20 Jahre alt. Auf dem Giebel des Maison des Têtes ist die Bartholdis Statue eines Elsässer Fassbinders zu sehen, ein Auftragswerk aus dem Jahr 1902, nachdem das Haus zur Weinbörse Colmars geworden war. Und in einer Nische der Markthalle steht die Skulptur des "Petite vigneron", eines jungen Winzers, der freudig aus einem kleinen Fässchen, das er hoch über seinen Kopf hält, Wein trinkt. Aber wie im Museum zu erfahren, war dieses Kunstwerk für die Herren der damaligen Zunftvereinigung eine Provokation, da sie die mühevolle und harte Arbeit im Weinberg nicht gewürdigt sahen. Aus heutiger Sicht wäre es für die Berufsvertretung der Winzer wohl eher eine gute Marketing-Idee. So ändern sich die Bewertungen künstlerischer Arbeiten. Das gilt umso mehr für das wichtigste Werk von Bartholdi, die Freiheitsstatue. Sie steht als Symbol für Freiheit, Hoffnung und den American Dream. Jeder kann sich die Frage beantworten, wieviel von diesem Symbol im Jahr 2024 noch übriggeblieben ist.

Die Pressereise in das Elsass wurde von der Agentur Ducasse Schetter organisiert und von den Fremdenverkehrsämtern im Elsass und in Colmar unterstützt. Text und Fotos von Ronald Keusch

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