Es gibt zwar vielerorts Thermen, auch in Berlin und Brandenburg, aber nirgendwo auf der Welt einen größerenThermalsee als in Bad Héviz in Ungarn, wenige Kilometer vom Balaton entfernt. Er ist zudem der biologisch aktivste See und Héviz verfügt damit weltweit über das größte natürliche Heilgewässer. Wenn mancherorts der Bäder- und Kurbetrieb mit Rückschlägen kämpfen muss, weil die Kosten zu hoch steigen und die schnell-lebige Gesellschaft immer weniger Zeit und Muße für Kuren aufbringen will oder kann, scheint das altehrwürdige Bad Héviz davon wenig berührt. Bereits die Römer legten hier im 2. Jahrhundert den Grundstein für die Badekultur. Im Jahr 1795 ließ Graf György Festetics I. den Ort zum Heilbad ausbauen. Der ungarische Adelige öffnete damit das Tor für einen Besucherstrom, der bis in die Gegenwart anhält. Das hat gute Gründe.
Der natürliche Heilsee ist der Star
Der 4,4 Hektar große natürliche Heilsee ist der unumstrittene Star in Bad Héviz. Seine Eckdaten sprechen für sich. Die Heilkraft zieht er aus den an Mineralstoffen reichen Quellen, die seit jeher in einer Tiefe von 38 Metern entspringen. Dank des enormen Fördervolumens der Quellen von 410 Litern pro Sekunde, erneuert sich das Wasser im See innerhalb von drei Tagen - was für ein Luxus. Am südlichen Ende des Sees fließt das Wasser in einen breiten Kanal in den Fluss Zala und dann in den Balaton. Das Wasser wird durch geothermische Energie erwärmt, liegt im Winter nicht unter 22 und erreicht im Sommer 35 bis 38 Grad Celsius. Für viele eine Wassertemperatur wie in der Badewanne daheim. Auf Grund der mehrschichtigen Strömung der Wassermengen ist die Wirkstoffverteilung gleichmäßig, allerdings spürt man beim Schwimmen im See an manchen Stellen kleine Unterschiede bei der Wassertemperatur. Der 34 Hektar große Wald rund um den See schützt vor Wind und das ständig verdunstende Wasser macht die Luft sauber.
Mit der "Schwimm-Nudel" unterwegs
Es ist schon ein besonderes Gefühl, von den imposanten Bauten im Badehaus-Stil, die mit Holzstegen verbunden sind, in das Thermalwasser des Sees zu steigen und sich treiben dann zu lassen. Während sich früher die Badegäste dazu in Schwimmringe aus Holz zwängten, helfen heute dabei schmale aufgeblasene Gummiringe so genannte "Schwimm-Nudeln". Sie werden um Kopf und Rumpf geschlungen und halten die Badenden ohne Schwimmbewegungen bequem über Wasser. Das Schweben im Wasser wirkt beruhigend auf das Nervensystem, sagen die Mediziner vor Ort und man will es gerne glauben. An einigen Stellen des Sees wiegen sich rosa, violette und weiße Seerosen. Einige Sorten wurden schon Ende des 19 Jahrhunderts aus Indien und Ägypten eingeführt. Die Blüten entfalten sich am frühen Morgen und duften nach Zedern. Für die Badegäste ein entspannendes Bild.
Massage durch Wasserströmung
Aber das Wasser kann ja viel mehr als nur Badespaß bereiten. Der hydrostatische Druck des Wassers wirkt wohltuend spürbar auf den Kreislauf und demzufolge werden die Bewegungen von Armen und Beinen leichter. An der Körperoberfläche erscheinen kleine mit Gas gefüllte Bläschen, die der Haut gut tun und sie mit der Wasserströmung leicht und angenehm massieren. Geradezu außergewöhnlich ist die vielfach beschriebene und nachgewiesene herausragende Heilwirkung der Thermen. Auf Grund der hohen Wirksamkeit des Seewassers wird allerdings empfohlen, ohne ärztlichen Rat die Badezeit auf 30 Minuten zu begrenzen.Ein Patient, der im Thermalwasser Nachwirkungen einer Knie-Operation kurierte, schilderte mir, dass durch das Thermalwasser eine bei ihm vor Jahren aufgetretene Prostata-Entzündung zusätzlich geheilt worden ist.
Zum Abschluß nutzen viele im Thermalsee Badende die Möglichkeit, an einer Stelle des Sees den dicken Heilschlamm vom Boden des Sees kurzzeitig auf die Haut ihres Körpers aufzutragen.
Linderung der Beschwerden bei 84 Prozent
Tatsächlich ist das Wasser ideal zur Behandlung von rheumatischen und motorischen Beschwerden, Trinkkuren, von Gallen- und Nierenproblemen, Magenbeschwerden und auch als Inhalatorium. Dr. Veronika Moll, Fachärztin für Physiotherapie und Rheumatologie, gehört zu der großen Anzahl von Medizinern, die in Héviz die Gäste medizinisch betreuen. "Aus meiner Praxis zeigt sich", so die Medizinerin, "dass durch unsere traditionelle Hévizer Heilmethode bei rund 84 Prozent der Kurgäste eine deutliche Linderung ihrer Beschwerden erreicht wird." So sei ein Aufenthalt vor allem sinnvoll bei Rücken-,Hals- und Wirbelsäulenschmerzen, bei Gelenkverschleiß sowie Muskel- und Sehnenproblemen.
Eine Perlenkette von Kur-Hotels
Im Kurort Héviz mit seinen etwa 4.300 Einwohnern haben sich rund um den berühmten Thermalsee viele Dutzende große und kleine Hotels und Pensionen versammelt. Eine ganze Reihe von ihnen verfügen als Wellness-Hotel über hoteleigene Brunnen, die das Thermalwasser aus den gleichen unterirdischen Quellen beziehen wie der Thermalsee. Sie sind nicht nur ein Trinkbrunnen mit Schwefel-, Calzium und Magnesiumhaltigem Wasser, was nur in kleinen Mengen trinkbar ist. Die Hotels lassen das Heilwasser auch in die hauseigenen Pools sprudeln. Zusätzlich werden auch Behandlungen mit Heilschlamm angeboten.
Der Charme alter Bäder-Architektur
Der kleine Thermalort Héviz liegt eingebettet zwischen Weinbergen mitten drin in der westungarischen Hügellandschaft. Dank seiner Lage vermischt sich das kontinentale mit dem Mikro-Klima des schwefelhaltigen Thermalsees. Im Frühjahr blühen im Kurpark Magnolien und japanische Zierkirschen, im Sommer strahlt die Farbenpracht von Tulpen, Narzissen und Begonien. Immer noch ist der Charme der alten Bäder-Architektur zu bewundern. In den Weinbergen im Stadtteil Egregy haben sich einige Dutzend Winzer angesiedelt. Sie haben es in den letzten zwei jahrzehnten sogar geschafft, dass Egregy zum Qualitätsweinbaugebiet Ungarns gekürt wurde. Zu den Spezialitäten zählen Welschrieslinge, Grauburgunder und der Grüne Veltiner, die alle in gemütlichen Weingärten von den Besuchern ausgiebig getestet werden können. Touristen und Kurgäste, Junge und Alte flanieren auf einer der schönsten Promenaden Ungarns, bummeln durch die kleinen Gassen und prägen das Bild des Badeortes. Da stört es die Allermeisten Besucher wenig, dass in dem Kurbetrieb von Héviz im Spätsommer ab 21 Uhr die "Bürgersteige hochgeklappt werden" und eine überwältigende Stille einzieht.
Mehr Zeit für Entspannung
Der Balaton-See mit seinem Naturschutzgebiet ist schon in wenigen Kilometern erreichbar. Auf dem See kreuzen Segelboote, die auch Touren mit den Badegästen aus Héviz veranstalten. Ein neuer Radweg auf der westungarischen Badestraße führt zum Abschluß nach Bad Héviz und bringt viele Aktiv-Urlauber in den Ort. Auch die Radler wollen den berühmten Thermalsee erleben. In der Medien-Öffentlichkeit scheint das Verständnis dafür, dass ein Mensch mehr Zeit für Entspannung und Kurbetrieb braucht, immer mehr schwinden. Bad Héviz zeigt Wege auf, dass natürliches heilendes Wasser eine bessere Wirkung erzielen kann als viele Pillen und Arzneien unserer modernen Welt.
Von Ronald Keusch mit Fotos von mk Salzburg Isabella Sommerauer