Wallfahrtsort für Opernfreunde

In der Gunst der Touristen wird Lucca von Pisa um Längen geschlagen. Alle wollen den Schiefen Turm sehen. Und Lucca hat leider nur gerade Türme. Aber dafür einen Puccini.
Foto von Bernd Siegmund
Foto von Bernd Siegmund

Man muss schon Glück haben, um einen solchen Tag zu erwischen: Regen in der Toskana. Mit Brachialgewalt fallen die Tropfen vom Himmel, satt und prall. Das Wasser fließt durch Gassen, steht auf Plätzen, fällt von den Dächern, erkundet jeden Winkel der Stadt. Als schon niemand mehr glaubt, dass der Wasserhahn je zugedreht wird, öffnet sich der Himmel, und die liebe Sonne ist zu sehen. Lucca, die geschichtsbewusste Stadt, lächelt. Und sieht plötzlich so aus, wie wir uns die Toskana immer vorgestellt haben. Heiter und mit fröhlichem Charme.

Enten und Arien

In Bronze gegossen sitzt der Komponist auf dem Denkmalssockel vor seinem Geburtshaus in der Piazza Cittadella, und lässt sich von den Touristen fotografieren. Ein wenig eitel blickt er in die Welt. Aber als Genie kann er sich das leisten. Eingenommen von sich war Giacomo Puccini schon immer. Bereits seine dritte Oper "Manon Lescaut" wurde ein Welterfolg, seine Arien waren Gassenhauer. Er konnte sich alles leisten. Allein im ersten Halbjahr 1900 verdiente Puccini rund 27.000 Lire. Das Achtzigfache eines Durchschnitts-Verdienstes. Und er ließ sich nicht lumpen. Eine ganze Armee von Claqueuren war um ihn herum. Die Mitglieder seines Fan-Club La Bohème mussten sich verpflichteten, "gut zu trinken und noch besser zu essen". Wenn Puccini komponierte (meist nachts) hatte er stets einen Hut auf und eine Zigarette, Zigarre oder Pfeife im Mund. Er liebte schnelle Autos, schöne Frauen, Motorboote, Häuser (allein um Lucca herum besaß er fünf Villen) und die Entenjagd. Sie war auch der Grund, warum er sich 1891 in Torre del Lago am Massaciuccoli-See (heute Torre del Lago Puccini) einquartierte. Anfangs hatte er nur zwei Zimmer, später dann ließ er sich die zu ihm passende Villa bauen. Von hier aus fuhr er zur Jagd. Ganz früh, wenn der Nebel noch im Schilf hing und Stille über dem See lag. Er schoss auf alles, was durch die Luft flog: auf Krickenten, Blessrallen, Haubentaucher, Kormorane… Noch heute kann man in Torre del Lago sein schwarzes "August Förster"-Klavier besichtigen, seinen Schreibtisch mit dem Tintenfass und die 10 Flinten, die akkurat im Schrank stehen. Giacomo Puccini soll angeblich in launiger Runde einmal geäußert haben, dass neben dem Klavier das Gewehr sein bestes Instrument wäre.

Turm mit Blätterwald

Zeit seines Lebens hat sich der schießfreudige Puccini in Lucca und Umgebung zu Hause gefühlt. Kein Wunder, schließlich ist Lucca eine schöne Stadt. Man sieht ihr noch heute den einstigen Reichtum an, der sich auf die Produktion und den Handel von Seiden- und Damast-Stoffen gründete. Beeindruckend ist die wehrhafte Stadtmauer, die Lucca mit Kraft und Eleganz umgibt. Sie ist 4,5 km lang, 12 m hoch und 30 m breit. Mit 124 Kanonen bestückt schützte sie Lucca vor dem feindlichen Florenz. Heute ist der Wall eine baumbestandene Promenade, auf der es sich gemütlich spazieren lässt. Zum Greifen nah ist dabei der 50 m hohe Torre Guinigi (Ende des 14. Jh.). Wie ein Ausrufezeichen ragt er aus dem Stadtgesicht. Früher gab es mehrere dieser Wehr- und Wohntürme, die auf dem Dach mit Büschen und Steineichen bepflanzt waren. Lucca muss wie ein Märchenwald ausgesehen haben. 226 Stufen muss hochlaufen, wer dem Torre Guinigi aufs Dach steigen möchte. Fresken mit Kampfszenen erinnern im hölzernen Treppenhaus an die Tatsache, dass das stolze Lucca im frühen Mittelalter für kurze Zeit von Pisa besetzt war. Noch heute wird diese "Feindschaft" gepflegt.

Lebendige Einsamkeit

So quirlig die Städte der Toskana, so einsam können die Dörfer sein. Da ist Castelfalfi, einst ein verlassenes Gemeinwesen, in dem gerade noch fünf Menschen lebten. Hätte nicht die TUI vor zehn Jahren den Landsitz gekauft und ein hochwertiges Touristik Resort daraus gemacht, gäbe es den Ort nicht mehr. Journalisten hatten im vorigen Jahr das kurze Vergnügen, dort probewohnen zu dürfen. Dabei erwies sich Castelfalfi als ein Refugium für all jene Urlauber, die die Einsamkeit lieben und den herrlichen Blick in die Landschaft. Und sollte es einmal zu einsam werden, Florenz, Lucca und Pisa sind nicht weit.

Text und Fotos von Bernd Siegmund

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