Im königlichen Inselreich Tonga war das, auf Niuafo´ou. Selten besucht, weil abseits der touristischen Fahrtrouten. In die Geschichte eingegangen ist Niuafo`ou als "Tin Can Island", weil bis in die 1980er Jahre auch die Post nur im Vorbeifahren von Frachtschiffen abgeworfen wurde - wasserdicht verpackt in Blechkisten, die dann von der Strömung angespült wurden. Unser Schiff brachte die ersten Touristen seit vielen Monaten, dementsprechend groß das Hallo. Die Schulen aller acht Dörfer hatten frei, die Kinder sangen "Velkom, turis - velkom!" Das Staunen über die Fremde war auf beiden Seiten gleich groß. Einer der Lehrer sah allerdings genauso aus wie wir Ankömmlinge - aus Österreich hatte es ihn auf Umwegen hierher verschlagen: "Mensch, hab ich lange keine Weißen mehr gesehn". Und sofort habe ich ihn für das Logbuch, das ich über die Reise zu verfassen hatte, interviewt. Seit zwei Jahren war er auf der Insel und ich kann mir vorstellen, dass er noch heute auf Niuafo´ou zu finden ist. "Aber die kulturellen Unterschiede sind schon manchmal schwer zu verdauen" - und er erzählte mir die Geschichte seines Hausbaus. Am Ende des Dorfes, schön im Schatten und mit Blick, hatten er und die Eltern seiner Schüler wochenlang ein Haus errichtet. Er wollte endlich seiner Gastfamilie nicht mehr zur Last fallen "und vor allem auch meine Privatsphäre wieder haben". Am Tag seines Einzugs staunte er nicht schlecht, als das nagelneue Heim bereits gut belegt war. Alles war mit Blumen geschmückt, sie hatten gekocht und eine Feier vorbereitet. Und blieben wohnen - als Freundschaftsdienst. "Privatsphäre kennen die nicht, Familie, Gruppe, Gemeinschaft ist über allem - allein wohnen und mal Ruhe haben wollen ist ein westliches Konzept, dass Du hier knicken musst." So etwas ähnliches hatte ich schon von Alice erfahren, einer Freiwilligen des US-Peace-Corps. Sie hatte auf einer anderen entlegenen Insel versucht, abends nach der Schule (auch sie Lehrerin) allein zu joggen, so wie sie es vom College in Iowa gewöhnt war. Immer bildete sich ein Pulk von jungen Frauen, die sie davon abhielten. Mit Engelszungen erklärte Alice, was ihr das Joggen bedeutete. Zwecklos. "Wohin willst Du, und warum allein?" - das hörte sie in Endlosschleife, bis sie aufgab. Alice konnte es nicht erwarten, wieder in die Staaten zu dürfen, den Österreicher vermute ich immer noch in Tonga. Er wird die Vokabel "Single-Haushalt" aus seinem Leben gestrichen haben. Und die 66,7 qm, die ein Single (allerdings in Deutschland) durchschnittlich allein bewohnt, schon lange.
Andreas Döring, langjähriger Redakteur im NDR Studio Braunschweig, arbeitet als freier Autor im Bereich Reisen und Literatur. Er hat in Windhoek, Namibia, bei 30 Grad im Schatten die Weihnachtssendungen für das deutschsprachige Radioprogramm produziert, in Sambia Dorfschulkinder unterrichtet und ist als Literaturlektor auf Expeditionsschiffen durch Mittelmeer, Karibik und Südsee gefahren. Seine Reisenotizen hat er für uns zu kleinen Geschichten verarbeitet. Döring wurde mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnet, hatte bis 2020 einen Lehrauftrag für Kultur- und Reisejournalismus an der Faber-Castell Akademie und ist in Lesungen auf englisch und deutsch zu hören.
Text und Foto von Andreas Döring