Reiseführer Handy: Fluch und Segen

Andreas Döring reist für uns "In 80 Zeilen um die Welt".
Nachschub. Foto von Andreas Döring
Nachschub. Foto von Andreas Döring

In Hanoi war das, mitten in der Nacht. Wir waren nach langer Fahrt am Busbahnhof ganz da hinten in den Außenbezirken in ein Taxi gestiegen, um unsere Pension zu erreichen, die um Mitternacht die Rezeption schließen würde. Wenn so ein Fernbus an der Endstation hält, treffen soundso viele Reisende auf soundso viele Taxifahrer und das Gedrängel und Gefeilsche geht los - köstlich ohne gemeinsame Schrift und gemeinsame Sprache. Ein etwa 20jähriger Holländer hatte auf seiner App schon den handelsüblichen Preis für eine Fahrt in die Innenstadt ermittelt und fragte uns, ob wir uns ein Taxi teilen wollten. Klar doch, bloß weg aus dem Generve. Er nahm auf dem Beifahrersitz Platz, sagte wenig, starrte in sein Handy und blieb mit ihm so sehr verbunden, dass wir irgendwann eingreifen mussten. Jetzt war er nämlich auf Google Maps und erklärte dem Fahrer vor jeder Kreuzung, wo es lang ging. Der Fahrer, ortskundig, Anfang 60, stolz auf seinen Beruf, wurde zusehends aggressiver, besonders, wenn er links fuhr, obwohl der Holländer RRÄÄCHTS schrie, und ihm dann das Handy vor die Nase hielt - das gerade den Kurs neu berechnete. "Lass gut sein", sagte ich ihm, "egal, wer recht hat: stell Dir vor, Du fährst in deiner Heimatstadt Taxi und dann kommt einer vom anderen Ende der Welt und erklärt Dir, wo es lang geht. Nicht witzig. Mach aus, wenn Du zu dem Preis, den Dir Deine App gezeigt hat, ankommen willst." Hat er verstanden, aber der Taxifahrer hat erst uns abgeliefert, obwohl das Hotel des Holländers deutlich näher an der Strecke war. Zwei Wochen später fuhren wir in einem voll besetzten Bustaxi - 19 Fahrgäste auf 14 Sitzen - durch Kambodscha Richtung Siem Reap (na klar: Angkor Wat besuchen). Auf der Bank vor uns zwei noch nicht 20jährige Schweizerinnen, das I-Pad vor sich. Die haben allen Ernstes knapp drei Stunden lang eine amerikanische Serie geglotzt, obwohl "draußen" die allerschönste Landschaft mitsamt blutrotem Sonnenuntergang zu erleben war. Warum fahren die dafür so weit weg? Andererseits: Ohne die Sprach-App im Handy hätten wir mancherorts nie einen Bus buchen oder die Unterkunft finden können. Außerdem haben selbst technikferne Jungs wie ich gern sowas sinnfreies wie die Höhenmesser-App. Aber eben nur für die wenigen Momente analoger Sinnfreiheit.

Andreas Döring, langjähriger Redakteur im NDR Studio Braunschweig, arbeitet als freier Autor im Bereich Reisen und Literatur. Er hat in Windhoek, Namibia, bei 30 Grad im Schatten die Weihnachtssendungen für das deutschsprachige Radioprogramm produziert, in Sambia Dorfschulkinder unterrichtet und ist als Literaturlektor auf Expeditionsschiffen durch Mittelmeer, Karibik und Südsee gefahren. Seine Reisenotizen hat er für uns zu kleinen Geschichten verarbeitet. Döring wurde mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnet, hatte bis 2020 einen Lehrauftrag für Kultur- und Reisejournalismus an der Faber-Castell Akademie und ist in Lesungen auf englisch und deutsch zu hören.

Text und Foto von Andreas Döring

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