Zwischen Peene und Achterwasser

Bekannte und weniger bekannte Orte auf der Insel Usedom entdecken.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Alle Urlauber auf der Insel Usedom - egal wo sie ihr Quartier aufgeschlagen haben - lassen sich von der Promenade begeistern, die an der Küste der drei Kaiserbäder entlangführt. Wie auf einer Perlenschnur präsentieren sich Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin mit ihrer mondänen Bäderarchitektur. Sie ist geprägt von einer nahezu lückenlosen Bebauung mit Villenhäusern im klassizistischen Stil, die liebevoll restauriert oder auch mit viel Sorgfalt neu errichtet wurden, so dass sich ihre Fassaden elegant in das Gesamtbild einfügen. Charakteristisch für den Baustil sind die offenen Balkone mit reich verzierten Säulen, Balustraden und vielen filigranen Schmuckelementen. Beispiele dafür sind an der Promenade und in der Goethestraße von Ahlbeck zu finden, egal ob es sich um Hotels, Villen oder Ferienhäuser handelt. Es macht einfach Spaß, hier die Bäderarchitektur der Villa Lara, der Villa Meeresblick oder des Hotels Ahlbecker Hof näher zu betrachten. Gleiche Hingucker findet der Besucher in Heringsdorf in der Kulmstraße sowie in der Maxim-Gorki-Straße, benannt nach dem russischen Schriftsteller, der viele Wochen hier einen Kuraufenthalt absolvierte. Schließlich ist auch in Bansin diese einzigartige Architektur vornehmlich in der Bergstraße anzutreffen nebst einem unverstellten Seeblick. Denn hier erlaubt der Lückenbau auch aus der zweiten Reihe die Sicht auf die Ostsee. Eine Architektur-Rundfahrt durch die drei Kaiserbäder lohnt sich - die Villen an der Strandpromenade und den Straßen in der zweiten und dritten Reihe dahinter sind jeweils mit dem ausgeliehenen Fahrrad, dem E-Bike oder dem Bäder Bus bequem erreichbar. Die Kurkarte ist dafür das Ticket.


Klassizistische Bäderarchitektur an der Strandpromenade von Ahlbeck

Grenzenloser Urlaub

Der Tourismusverband Usedom verspricht auch einen grenzenlosen Urlaub im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die langgezogene Promenade führt von Bansin aus grenzüberschreitend in das Nachbarland Polen nach Swinemünde. Sie ist mit 12 Kilometern Europas längste Strandpromenade und die letzten Kilometer von Ahlbeck bis zur Grenze sind ausschließlich für Spaziergänger und Fahrradfahrer reserviert. Sie wurde bereits im August 2011 eröffnet. Direkt an der Nahtstelle beider Länder stehen keine Grenzbauten, sondern ist ein Grenzplatz eingerichtet mit einem Treff- und Verweilpunkt, wie es im Amtsdeutsch heißt. Auch an Fahrradständer ist gedacht. Auf einem hölzernen Dünen-Weg kann der Besucher dann mehrfach die Grenze überschreitend in Richtung Ostseestrand laufen, vorbei an deutschen und polnischen Grenzpfählen, geschmückt mit den jeweiligen Landesfahren. Angekommen auf der Düne eröffnet sich der Blick weit in die Pommersche Bucht. Dieses seit 12 Jahren erfolgreich existierende grenzenlose Projekt besitzt große Symbolkraft für deutsche und polnische Touristen. Außerdem ist es einfach praktisch für die vielen polnischen Beschäftigten in der deutschen Tourismuswirtschaft und für die deutschen Hoteliers, die dringend auf polnische Arbeitskräfte angewiesen sind.

Die Glocken von Vineta in Koserow


Promenade zwischen Ahlbeck und Swinemünde

Was wäre die Insel Usedom ohne ihre Seebrücken? Fast jedes Seebad hat seine eigene. Da ist die älteste Seebrücke in Ahlbeck, 1898 erbaut. Das weiße Brückengebäude ist mit seinem roten Dach und den grünen Türmchen eines der meistfotografierten Motive der Insel Usedom. Auch Vicco von Bülow alias Loriot hatte sich so in die Brücke verliebt, dass er 1991 einige Szenen für seinem Film "Pappa ante portas" dort drehte. Damals musste die Brücke noch ohne ihren Steg auskommen, der in einem Eiswinter 1941/42 zerstört wurde und erst 1993 wieder aufgebaut wurde. Dann ist da die mit 508 Metern längste Seebrücke in Heringsdorf. Und schließlich die jüngste Seebrücke in Koserow. Sie hat eine wechselvolle Geschichte. Ein im Jahr 1993 errichteter Bau wurde schon 1995 bei einem Sturm schwer beschädigt, später wurden auch noch Baumängel entdeckt und insgesamt war die Brücke zu tief, so dass sie stürmischem Meer nicht standhalten konnte. 2021 wurde schließlich die neue Brücke fertiggestellt. Sie windet sich wie eine Welle 280 Meter hinaus auf die Ostsee und hat an ihrem Ende einen Glockenturm und ein kleines Veranstaltungsrondell. Die Glocken - es sollen sie Glocken der untergegangenen Stadt Vineta sein - hat die Gemeinde bei eBay ersteigert. Sie läuten am Ostersonntag, dem Tag, an dem der Legende nach die reiche Stadt Vineta aus den Fluten steigt, um dann wieder zu versinken, da die Bewohner immer noch nicht gelernt haben, ihren Reichtum zu teilen. Zur Freude der Touristen erklingen die Glocken jetzt jeden Mittwoch, dazu wird die Vineta-Sage erzählt.


Grenze ohne Stacheldraht

Das Museum im alten Schulgebäude

Wer die Insel Usedom, die zweitgrößte Insel in Deutschland nach Rügen, umfassend kennenlernen will, der sollte sich unbedingt in ihr Hinterland aufmachen. Umgeben von Stettiner Haff, vom Peene Strom und Achterwasser und abseits vom Strandleben findet der Besucher noch in ländlicher Idylle jede Menge lohnende Ausflugsziele. Dazu zählt zweifellos der Museumshof Lieper Winkel, recht abgeschieden auf der Halbinsel gleichen Namens in der Gemeinde Rankwitz gelegen. Hier ist in einem ehemaligen Schulgebäude aus dem Jahr 1895 ein Heimatmuseum eingerichtet mit weiteren Ausstellungsräumen in der benachbarten Scheune. Betreut wird dieses Kleinod von einem erst im Jahr 2013 gegründeten Heimatverein. Jüngere, Ältere, alteigesessene und neue Mitbürger in der Gemeinde haben sich zusammengefunden. Mit viel Elan vervollständigten sie die heimatkundlichen Sammlungen, sanierten die Gebäude und organisierten Führungen und Ausstellungen - alles ehrenamtlich. Eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen und Bürgerfesten wurde unter dem Namen "Lieper Klöneck" ins Leben gerufen. Zur zehnjährigen Bilanz dies Vereins gehört auch, dass das Museum und die Veranstaltungen zu einem festen Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im Lieper Winkel geworden sind, unterstreicht die Vorsitzende des Vereins, Marina Sundmacher-Tydeks. Startete der Verein im Gründungsjahr mit 60 Mitgliedern, so sind in den letzten Jahren weitere 130 neue Mitglieder gewonnen worden. Die Touristen erwartet eine überraschend umfangreiche und spannende Sammlung von Geräten und Werkzeugen aus Landwirtschaft, Fischerei, Handwerk und den früheren Haushalten. Das beginnt mit Fundstücken aus der Steinzeit wie dem Faustkeil, über Reusen und die "Aaleisen" der Fischer bis zum Butterfass und dem Waffeleisen aus der Küche. Ergänzt wird die Ausstellung durch alte Dokumente wie Pfandbriefe und historische Fotoporträts der Einwohner vom Lieper Winkel um das Jahr 1880. Ein Anziehungspunkt bilden auch erhaltene Frauentrachten aus dem Jahr 1850. Alle diese vielen Sehenswürdigkeiten in der ländlichen Idylle des Usedomer Achterlandes wurden auch mit Mitteln aus dem EU-Sozialfonds finanziert. Neue Mitbewohner aus Berliner Kanzleien mit Kenntnissen um das EU-Antragswesen brachten sich erfolgreich ein und sorgten für finanziellen Rückenwind.


Die jüngste Seebrücke Usedoms in Koserow

Der 18,4 Meter hohe Berg mit Gipfelbuch

Am Eingang der Gemeinde Rankwitz liegt an der Peene ein kleiner Segler- und Fischereihafen mit Fischverkauf, Fischräucherei und Fischrestaurant. Eine respektable Konkurrenz zur Ostseeküste. Und dass die Einwohner der Halbinsel den hintergründigen Humor der alten Pommern behalten haben, zeigen sie auf einem kleinen, nur ganze 18,4 Meter hohen Berg ihrer Gemeinde, dem Jungfernberg. Auf der Bergspitze haben sie in einem kleinen Metall Kasten ein Gipfelbuch ausgelegt, eine Gipfelbank zum Ausruhen nach dem fünfminütigen Aufstieg und ein Gipfelkreuz dürfen auch nicht fehlen. Und es gibt natürlich eine hervorragende Rundumsicht, Richtung Westen über den Peenestrom zum Festland nach Lassan und auf der anderen Seite über das Achterwasser. Da können Österreicher und Schweizer nur staunen.

Ein Flughafen mit Traditionen

Eine weitere wichtige Station im Hinterland der Insel liegt zwischen den Gemeinden Garz und Zirchow, der Flughafen Heringsdorf. Er ist nur acht Kilometer vom Seebad Heringsdorf entfernt. Der Verkehrsflughafen wird in diesem Jahr im Linienverkehr von Luxemburg, Frankfurt/Main, Kassel und erstmals von Mannheim angeflogen. Den größeren Anteil an Flügen nehmen allerdings Charter- und Sportflieger ein und es werden auch Rundflüge für Urlauber angeboten. Bereits vor knapp einhundert Jahren eröffnet, wurde er über die Jahrzehnte militärisch genutzt und weiter ausgebaut. So verfügt der Flughafen über eine 2,3 Kilometer lange Start- und Landebahn, die auch heute für moderne Großflugzeuge geeignet ist. Für die Gäste der hochkarätigen Hotels der Kaiserbäder und von Swinemünde, die auch aus Frankfurt, Luxemburg oder Zürich anreisen, eine sehr attraktive Route, die vom Flughafen mit dem Taxi oder einem Shuttle-Service fortgesetzt wird. Diese herausragende flugtechnische Anbindung der Insel steht in bester Tradition eines deutschen Flugpioniers. Otto Lilienthal, im benachbarten Anklam geboren, hat sich zu seinen ersten Flugversuchen, so erzählen die Heimat-Historiker, durch Störche und Kraniche auf der Insel Usedom inspirieren lassen. Später folgten dann erste Anflüge auf dem Luftlandeplatz Swinemünde, wo Lilienthal mit der "Rumpler Taube" geflogen ist. In diesem Jahr ist die Linien-Flugsaison seit dem 29. April bis Ende Oktober wieder eröffnet mit dem Werbespruch: In 90 Minuten auf die Sonnen-Insel. Und Kur-Direktor Thomas Heilmann nennt einen weiteren Vorteil für die Insel: Jeder Fluggast reist ohne Auto an und muss nicht - wie so oft in der Saison - stundenlang an einer der beiden auf die Insel führenden Brücken in Zecherin oder in Wolgast anstehen.


Der Heimathof Lieper Winkel in Rankwitz

Tragikomödie des Schienenstranges

Mit anderen Traditionen von Verkehrslösungen haben die Usedomer Einwohner und Hoteliers weniger Glück. Die Reiseführer berichten über eine Bahnfahrt von Berlin nach Usedom in zwei Stunden - allerdings vor einhundert Jahren. Seit 30 Jahren arbeitet die DB daran, eine praktikable Verbindung zur Insel auf der Schiene zu realisieren. Doch es ähnelt vielmehr einem Drama mit sowohl tragischen wie auch komischen Elementen - eben einer Tragikomödie. Immer wieder wurde das Projekt Usedom einmal in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen, dann wieder rausgeworfen, und dann wieder aufgenommen. Gegenwärtig ist Usedom wieder rausgefallen. Bis 2030 hat die DB versprochen, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln. Formulierter Plan der DB ist es, viel mehr die Netze und die Knoten auszubauen. Dieses Ziel ist nun auf das Jahr 2070 verschoben. Ist eine solche Vorgabe eher tragisch oder eher komisch? Wahrscheinlich beides. Polen hat es geschafft, innerhalb von fünf Jahren einen Tunnel zwischen den Inseln Wollin und Usedom zu bauen und alle Zufahrtstraßen auf polnischer Seite zu erneuern und zu verbreitern. Nur durch die Corona-Pandemie kam es zu kleinen Verzögerungen, da die Tunnelbohrmaschine nicht rechtzeitig eintraf, In Deutschland scheitert es schon an der simplen Aufgabe, einen einfachen Kreisverkehr am Ortsausgang von Ahlbeck Richtung Swinemünde zu sanieren.


Museum im ehemaligen Schulgebäude

Der Schlossherr ist ein Bierbrauer

Das Land Mecklenburg-Vorpommern präsentiert hunderte von Schlössern und Burgen. Zählt man noch die Gutshäuser dazu, kommen Tourismusverbände auf die Zahl 2.000. Sie können mehr oder weniger romantisch, mehr oder weniger prunkvoll, mehr oder weniger klassizistisch sein. Aber es existiert nur ein Schloss mit einem Alleinstellungsmerkmal. Das Wasserschloss Mellenthin in der Mitte der Insel Usedom hat eine Schlossbrauerei.


Schlossherr Jan Fidora vor den kupfernen Sudkesseln


Die Gasthaus-Brauerei im alten Gewölbe

Über Hotelzimmer zum Braukessel


Marina Sundmacher-Tydeks

Der Schlossherr Jan Fidora erzählt freimütig und schmunzelnd, welche Umwege ihn zum Schloss-Bierbrauer geführt haben. Um die Restaurierung und Sanierung des Wasserschlosses mit dem Baujahr 1588 zu finanzieren, brauchte er das grüne Licht für Kredite von den Banken. Doch Sudkessel in einem Schloss klang in den Ohren der Finanzgewaltigen zu abenteuerlich. So floss das Geld zunächst für Hotelzimmer, Restaurant und Schlossküche, ehe der ambitionierte Bierbrauer daran gehen konnte, seine Brauerei neu zu errichten. Im Herbst 2011 war es dann so weit. Im rechten Seitenflügel in historischen Räumen mit hohen Gewölben funkeln jetzt die kupfernen Kessel. Hier können nunmehr die Gäste an schweren Eichentischen das frisch gebraute Bier kosten und regionale Gerichte speisen.

Cannabis-Bier aus Mellenthin


Ein noch funktionstüchtiger Webstuhl

Es überrascht niemanden, wenn der Bierbrauer Fidora nicht nur ganzjährig Mellenthiner Hell und Dunkel serviert. Dank der überschaubaren Jahresmenge von 1.200 Hektoliter hat der Braukünstler auch viel Spaß daran, weitere exklusive Sorten zu kreieren, wie Eisbock, Rauch, Schwarz, Kaffee oder Bernstein. Schlagzeilen machte er, als er beim Brauen den Hopfen durch Hanf ersetzte und ganz legal ein Cannabis-Bier verkaufte. Damit schaffte er vor Jahren ein weiteres Alleinstellungsmerkmal in Deutschland, das ihm derzeit nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit seiner Cannabis-Offensive streitig machen will.


Gipfelbuch und Gipfelbank auf dem Jungfernberg


Garten des Wasserschlosses Mellenthin

Angefangen hat der rührige Braumeister als Hotelier mit 26 stilvoll gestalteten Hotelzimmern im Westflügel des Schlosses, inzwischen empfängt er auch Gäste in den umgebauten ehemaligen Wirtschaftsgebäuden vor der Brücke. Das Schloss verfügt über einen attraktiven Wellnessbereich und hat sich eine eigene Kaffeerösterei zugelegt, die in der ehemaligen Schlosshof-Kapelle residiert. Neben der Schloss-Küche stehen mittlerweile auch Schloss-Konditoren bereit, die täglich frischen Kuchen backen und in der Waffelbäckerei nach geheimer Rezeptur Waffel-Variationen fabrizieren. Natürlich öffnen bei den ersten Sonnenstrahlen im Frühsommer der Biergarten im Schlosshof und die Terrasse am Schlossgraben der Brauerei. Die Biertrinker können sich dann auf das Mellenthin Bier und die Spezialsorten freuen. Mit all diesen Angeboten gelingt es Schloss Mellenthin, auch notorische Badeurlauber vom Strand in das Hinterland der Insel Usedom wegzulocken.

Text und Fotos von Ronald Keusch

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