In Neuseeland war das, Nordinsel, weit und breit nur Gegend. Bed & Breakfast auf einer Farm in der Nähe der Bay of Poverty. Ich schrieb bis in die Nacht Reisetagebuch und musste zum Rauchen immer vor die Tür. "Ach schade", dachte ich mit flüchtigem Blick zum Himmel, "Wetter wird schlecht" - ganz langsam bezog es sich. Bei der dritten Zigarette, Stunden später, wurde ich stutzig, denn die Bewölkung hatte sich nicht gerührt. Tja, und dann bin ich schnappatmend fast zitternd auf die Knie gefallen, als ich endlich merkte, dass diese vermeintlichen Wolken aberzehntausende von Sternen waren - so derart mitten im Gesicht hatte mir die Milchstraße selbst in den Alpen noch nie gestanden. Wurde aber noch getoppt von dem Sternenhimmel in Vanuatu, quasi um die Ecke (2.900 km - im Pazifik n Klacks). Da kam ein Passagier vom Aussichtsdeck rein, hatte Tränen in den Augen und philosophierte tief gerührt über diese dummen kleinen Menschen, über Gott, die Unendlichkeit - naja, über all das eben, was ausgelöst wird, wenn man das Weltall nicht nur im Planetarium oder in ARD Alpha rational zur Kenntnis nimmt, sondern sich mitten reinstellt.
Thomas Manns Tonio Kröger macht sich über solche vermeintlich ungelenke Sentimentalität lustig: ein Mann steht nachts an der Reling und spricht Kröger an. "Die Sderne, Gott, sehen Sie doch bloß die Sderne an...!" (Und es folgt genau das, was mir gerade der Passagier offenbart hatte). Sicherlich schreibt er Verse, denkt Kröger - "tief ehrlich empfundene Kaufmannsverse". Das ist ausgesprochen gelungen, aber fies. Natürlich ging ich auch an Deck - und dieses unwillkürliche spirituelle Erleben bekam noch eine zweite Ebene. Wir ankerten in etwa mittig zwischen den Inseln Ambrym und Malakula. Schwarz die See, besagte Milchstraße hell über uns, aber einen Finger breit über dem Horizont sah man zusätzlich das schwache, rote Glimmen des Mount Benbow. Ein aktiver Vulkan auf Ambrym, der seit Mitte der 1990er Jahre durchgängig aktiv ist. Das war echt die geballte Ladung: über mir die unbegreifliche Weite, dort hinten die Urgewalt des Erdinnern. Beide sagten mir ganz ohne großen Gestus, quasi en passant: mach den Kopf zu und lass gut sein - wir können ganz prima ohne Euch.
Andreas Döring, langjähriger Redakteur im NDR Studio Braunschweig, arbeitet als freier Autor im Bereich Reisen und Literatur. Er hat in Windhoek, Namibia, bei 30 Grad im Schatten die Weihnachtssendungen für das deutschsprachige Radioprogramm produziert, in Sambia Dorfschulkinder unterrichtet und ist als Literaturlektor auf Expeditionsschiffen durch Mittelmeer, Karibik und Südsee gefahren. Seine Reisenotizen hat er für uns zu kleinen Geschichten verarbeitet. Döring wurde mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnet, hatte bis 2020 einen Lehrauftrag für Kultur- und Reisejournalismus an der Faber-Castell Akademie und ist in Lesungen auf englisch und deutsch zu hören.
Text und Foto von Andreas Döring