Haus mit Seelenfenster

Im Bergdorf Vals wird Deutsch gesprochen. Valser-Deutsch. Eine Sprache im Dreiviertel-Takt. Sie gibt den Menschen einen besonderen Charme. Nicht allen, aber den meisten.
Foto von Bernd Siegmund
Foto von Bernd Siegmund

Erst in der Draufsicht, aus 2.300 Metern Höhe, sieht man, wie anmutig sich Vals im landschaftlich schönen Valsertal platziert hat. Gelegen auf einer Höhe von 1.250 Metern folgt es dem munteren Valser Rhein, der mit seinem Lauf Dorf und Talgrund durchschneidet. Eis und Regen haben in Millionen von Jahren das Tal geformt. Vals ist gut gefüllt mit Häusern. Es gibt große und kleine, alte und neue, elegante aus Stein und warmherzige aus Holz. Was sie eint, ist die Mütze. Jedes Haus, so ist es in Vals gesetzlich vorgeschrieben, hat ein Dach aus Quarzit-Steinplatten zu tragen. Diese Kopfbedeckung macht das Gebirgsdorf unverwechselbar.

Heirat verboten

Gut 1.000 Menschen leben in Vals. Es gibt 1.000 Gästebetten, die im Sommer wie im Winter begehrt sind, 10.00 Schafe und 200 Geißen, berggängige, milchgebende Ziegen. Wer nicht in der Landwirtschaft oder im Tourismus arbeitet, der verdient sein Geld im Wasserkraftwerk Zervreila, im Steinbruch oder bei den Valser Mineralquellen. Die dünne Luft hier oben ist voller Sauerstoff, sie lässt sich gut atmen. Im Übrigen stimmt es nicht, dass die Bürger von Vals Touristen gegenüber so unnahbar sind wie die hohen, schroffen Berge. Freundlich und weltoffen begegnet man den Fremden.

Gegründet wurde Vals Mitte des 14. Jahrhunderts von Deutschsprachigen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat im rätoromanischem Valsertal landeten. Die Ureinwohner waren anfangs nicht sonderlich erfreut über die Fremden aus dem Wallis. Kurzerhand erließen sie 1457 ein Gesetz, nach dem der Verkauf von Häusern und Gütern an Fremde verboten war. Selbst eine Heirat mit den Neuankömmlingen war strengstens untersagt. Aber bekanntlich ist gegen die Liebe kein Kraut gewachsen. Im Laufe der Jahrhunderte heiratete man sich zusammen.

Auf dem Marktplatz von Vals erzählen noch einige Häuser Geschichten von der fernen Zeit. Das älteste Wohnhaus am Platze stammt aus dem Jahre 1685. Das Holz hat die Farbe der Jahrhunderte angenommen. Es lohnt sich, hier stehen zu bleiben und den uralten, verwitterten Brettern, Schindeln und Balken "Guten Tag" zu sagen. Allein die schmiedeeisernen Beschläge an der Eingangstür sind eine Sehenswürdigkeit. Philipp Vieli, der uns durchs Dorf führt, weist auf ein kleines Fenster neben der Haustür hin. Es ist nicht größer als 30 mal 30 Zentimeter. "Ein solches Fenster hatte jedes Haus," erzählt er. "Wenn jemand gestorben war, wurde es aufgemacht, damit die Seele des Toten in den Himmel fliegen kann."

Spitzenbier auf 1.807 m Höhe

Zu den zahlreichen Vergnügungen, die Vals seinen Gästen bietet, gehört das Wandern durchs Gebirge. Mehr als 50 Wanderrouten sind ausgepreist. Bergauf. Bergab. Von leicht bis sauschwer. Eine beginnt unterhalb des Zervreila Staubeckens. Zuerst geht es auf den Kamm der 151 m hohen Staumauer. Von hier hat man eine prächtige Sicht auf die Berge. 2.821 m über dem Stausee thront das Zervreila-Horn, das wegen seiner auffallenden Pyramidenform auch das "Kleine Matterhorn" genannt wird. Unter dem Spiegel des künstlichen Meeres liegt seit über 60 Jahren das einstige Dorf Zervreila. 1957 wurde es geflutet. Seither liefert das ertrunkene Dorf zuverlässig und nachhaltig Strom. Ein gut präparierter Weg führt in sanften Steigungen hinein ins Hochmoor. Diese Vegetation ist Heimat seltener Pflanzen- und Tierarten. Alle paar Meter sprudeln kleine Bäche über den Weg, vereinen sich zu Tümpeln, versiegen, entstehen neu, ein Rätsel, wo das Wasser herkommt, es scheint nie zu versiegen.

Am Ende der Gebirgswanderung wartet auf 1.807 Metern Höhe das Panorama-Restaurant Gadastatt auf uns. Mit ihm wartet ein deftiges Brettli mit Käse, verschiedenen Wurstsorten und luftgetrocknetem Bündnerfleisch. Auch für die Kehle ist gesorgt. Zweimal pro Woche braut der Thüringer Ulf Heinemann in der höchstgelegenen Craft-Brauerei der Schweiz ein würzig-schmackhaftes Bier, das mit seiner kupfernen Farbe perfekt zum blauen Himmel passt.

Das Weltall hat geschlossen

Vals, und kein Wort zur fantastischen Natursteintherme 7132 des berühmten Schweizer Architekten Peter Zumthor. Geht denn das? Müsste man nicht wenigstens erwähnen, dass Architekturfreunde aus der ganzen Welt anreisen, um diese Inszenierung mit allen Sinnen zu erleben? Würden wir es tun, hätten wir keinen Platz mehr für Sandro Casutt. Und das wäre schade, denn der gelernte Elektriker und Weltraum-Fotograf hat etwas entdeckt, was heute selten geworden ist. Die Luft über Vals ist so rein, dass man mit bloßem Auge tief ins Universum blicken kann. Aus dieser Entdeckung entstand seine Leidenschaft für Astronomie und Astro-Fotografie. Also trafen wir ihn in finsterer Nacht, um zu erleben, wie er mit seiner Kamera das Licht der weit entfernten Galaxien sammelt. "Je weiter man in die Welt hinausschaut", sagte er, "umso intensiver blickt man tief in sich hinein." Leider blieb er an diesem Abend den Beweis für diese philosophische These schuldig, denn der Himmel spielte nicht mit, er hatte sich zugezogen.

Text und Fotos von Bernd Siegmund

 
Bei Magazin CHEXX.Reisen werden Cookies und andere Technologien verwandt. Durch Anklicken des Buttons Akzeptieren stimmen Sie der Verwendung zu. Ausführliche Informationen hierzu finden Sie unter Datenschutzerklärung.