Es haben sich einige Läufer eingefunden, die nach schmachtenden französischen Chansons elegant ihre Runden drehen. Im Oktober herrschen die ersten Nachtfröste und die Eislauf-Saison beginnt. Auf dem Weg zur Altstadt noch außerhalb der Stadtmauer passiert man das wuchtige Parlamentsgebäude im Empire-Stil. An seiner Eingangsseite sind Bronzestatuen der Stadtväter platziert und unter dem Wappen der Provinz Québec steht in Stein gemeißelt der Satz: Je me souviens, ich erinnere mich. An vielen Nummernschildern der Autos in der Provinz ist dieser Satz auch zu lesen. Die französischen Worte sind mehr als nur ein Hinweis darauf, dass dieser Teil von Kanada in Sprache und Kultur französisch geprägt ist. Es ist zugleich ein Motto der frankophonen Kanadier, ihre historischen Wurzeln nicht zu vergessen, sich ihrer Herkunft zu erinnern.
Altstadt zum UNESCO-Kulturerbe erhoben
Das Motto von Québec "Je me souviens"
Eisbahn im Oktober in Québec City
In der Altstadt, deren ältester Teil aus der Gründerzeit zum UNESCO-Kulturerbe befördert wurde, treffe ich Odo Mayer, einen ausgesprochenen Québec-Kenner. Der Süddeutsche wanderte vor 30 Jahren hierher aus und ist heute mit deutschen Touristen von den regelmäßig einlaufenden Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Unser Rundgang durch Québec, die als einzige Stadt nördlich von Mexiko auf dem nordamerikanischen Kontinent eine Stadtmauer besitzt, ist ein Gang durch die Geschichte. Vor vier Jahren feierte Québec sein 400jähriges Gründungsjubiläum. Im Jahr 1608 errichtete der französische Entdecker Samuel de Champlain eine Festung und Pelzhändler begannen, Häuser zu bauen. In der Folge entstanden Klöster und Kathedralen mit Seminaren und schließlich eine frankophone Universität, die das geistliche und geistige Zentrum von Neufrankreich bildeten.
Schlachtfeld ist heute Stadtpark
Wappen von Québec
Odo Meyer
Kanonenkugel
Odo Mayer führt mich dann in westlicher Richtung in den Parc des Champs de Bataille. Auf dieser einhundert Hektar großen "grünen Lunge" der Stadt, bevölkert mit Spaziergängern und Joggern direkt am Ufer des Sankt-Lorenz-Stromes, befindet sich das berühmte Schlachtfeld von Québec. Hier entschied sich am 13. September 1759 auf den Plaines d‘Abraham das Schicksal der Stadt und wie Historiker einschätzen, das Schicksal von Nordamerika. An diesem Tag gelang dem jungen englischen General Wolfe nach einer riskanten Landung seiner viertausend Soldaten nebst Kanonen über die steilen Hänge des Flusses ein Sieg über die Franzosen. Im Jahr 1763 zum Ende des Siebenjährigen Krieges in Europa gingen dann per Vertrag alle französischen Besitzungen in Nordamerika in englische Hände über. An diesen Waffengang wird der Besucher allerorts erinnert. Auf der Flanierstraße Rue St.- Jean steckt in einem Straßenbaum eine Kanonenkugel, die angeblich aus der Zeit britischer Belagerung der Stadt stammen soll. Eines der mehr als 30 Museen der Stadt, das Musée du Fort, widmet sich ausschließlich dieser Entscheidungsschlacht. Auf einem riesigen Modell a la Legoland wird der Hergang des Gefechts minutiös und altbacken mit aufleuchtenden Lämpchen nachgestaltet.
Altstadt von Québec
Stadtmauer bei Nacht
Zur Einmaligkeit des Geschehens gehört zweifellos, dass beide Oberbefehlshaber, sowohl der Brite General Wolfe als auch der Franzose Marquis de Montcalm tödlich verwundet die Schlacht nicht überlebten. Da waren die Arbeitsplätze der Oberbefehlshaber zu späteren Kriegszeiten gesünder ausgelegt und im heutigen Zeitalter der fern gesteuerten Drohnen sowieso. Auch das Musée de l‘Amérique francaise erinnert eindrucksvoll an die Zeiten, als französische Siedler, sehr oft freundschaftlich verbunden mit den Ureinwohnern, den Indianern, tief ins Landesinnere von Nordamerika zogen und den Kontinent entdeckten. Die mittelalterlichen Forschungsreisenden betrieben gewissermaßen Extremsport vor allem auf den Wasserstraßen Sankt-Lorenz Strom, Mississippi und Missouri.
Spannungsfeld von Denkmälern
Generäle an der Fassade
Parlamentsgebäude
Alle diese Träume von der neuen Welt in französischer Sprache und Kultur waren nach knapp 150 Jahren endgültig ausgeträumt und auf alle Ewigkeit verloren. Geblieben ist der melancholische Spruch "Je me souviens". Und obwohl die neue englische Herrschaft den Quebecern erzwungenermaßen erlaubte, ihre eigene Sprache und katholische Religion in ihrem Bereich auszuüben, blieb ein Spannungsfeld über die Zeiten erhalten. Davon zeugt auch der Umgang mit Denkmälern. Insgesamt vier Mal, so wird berichtet, sei das Denkmal des englischen Siegers Wolfe nahe dem neuen Kunstmuseum umgestürzt worden. Und mittlerweile gibt es nicht nur ein Kriegerdenkmal für die frankophonen Kanadier, die im Burenkrieg gefallen sind, sondern auch ein Denkmal für die Opfer, die bei Demonstrationen Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die zwangsweise Teilnahme an diesem Krieg von britischen Soldaten erschossen wurden.
Verständigung für Besucher auf Englisch
Die wachsende Zahl der Touristen in Québec scheint vor allem an dem französischen Flair von Québec gefallen zu finden. Begleitet von den Flaggen mit den vier Bourbonen-Lilien auf blauen Grund mit dem weißen Kreuz, die einige Häuser schmücken, bummeln sie durch die bunte Altstadt. Auf dem Place Royale im heutigen Zentrum der Stadt baute Samuel de Champlain die erste Siedlung auf. Wie an der Seine stellen in der Rue de Tresore Maler ihre Bilder aus. An der Terasse Dufferin thront das berühmte, 18 Stockwerke hohe Schlosshotel Chateau Frontenac, das wie seit seiner Eröffnung im Jahr 1893 auch heute reiche Gäste aus aller Welt anlockt. Und ein Stück weiter präsentiert sich die von Franzosen wie später Briten sternförmig errichtete Zitadelle, die sich wie ein Maulwurf in die felsigen Hänge der Stadt gegraben hat. In ihrem ersten Innenhof ist auf einer Rabatte mit bunten Blumen wieder die Zeile zu lesen "Je me souviens". Der deutschstämmige Touristenführer Odo Mayer, seit Jahrzehnten in Québec zu Hause, sieht das Motto sehr gelassen. Gerade die jungen Leute denken bei diesem historisch angelegten Spruch vielleicht eher daran, dass man sich erinnern soll, dass es Länder mit mehr Sonnenschein auf der Welt gebe. Er beruhigt auch alle Besucher aus Deutschland, die nicht das Französische beherrschen. Zwar sprechen mehr als 95 Prozent in Québec französisch, aber fast mit der Hälfte der Bevölkerung kann man sich auf Englisch verständigen. Einen Sieg kann das frankophone Kanada verbuchen. Es erwehrte sich erfolgreich der totalen "Anglisierung" ihres Landes. Voilá.
Tourismus großer Wirtschaftsfaktor
Martin Lachance
Die Region Québec und nicht zuletzt ihre gleichnamige Hauptstadt verteidigt bis heute auch - selbst in kleinen Imbiss-Gaststätten wie beispielsweise im Bistro Les Trois Garcons in der Rue St.-Jean - erfolgreich die französische Küche gegen angloamerikanische Eintönigkeit. Der Chef vom City-Tourism Martin Lachance vereinbarte nicht zufällig einen Treff in der durchgestylten Restaurant-Bar Savini, um ganz konkret einen touristischen Anziehungspunkt zu servieren - die Cuisine française. Sie trägt maßgeblich mit dazu bei, dass der Tourismus in Québec auf gutem Wege ist, was schon die Besucherzahlen beweisen. "Etwa 4,5 Millionen Besucher kommen jährlich in die Region, das macht fast ein Drittel des Wirtschaftsaufkommens bei uns aus", betont Lachance. Natürlich laufe die Hauptsaison von Mai bis September und gerade der Herbst ziehe jährlich immer mehr Besucher an. Jetzt bereite sich Québec auf die Wintermonate vor und da habe er einen interessanten Tipp für mich: Das jedes Jahr neu erbaute Eis-Hotel.
Die coolste Unterkunft von Québec
Heiße Doppelzimmer im Eis
Vor zehn Jahren wurde die Idee ins Leben gerufen und avancierte seitdem zur coolsten Unterkunft in der Region - das Hotel aus Eis. Das Hotel de Glace besteht tatsächlich gänzlich aus 500 Tonnen Eis und 15.000 Tonnen Schnee, aber nur von Anfang Januar bis Ende März. Dann wird das Hotel durch ansteigende Temperaturen bis auf die Grundmauern weg geschmolzen, um in der nächsten Wintersaison wieder neu zu erstehen. "In den 36 Zimmern und ein paar Suiten liegen die Gäste in Schlafsäcken, mit Licht und Stromanschluss, aber ohne Heizung", erklärt Brain Pellend vom Hotel Management. "Toiletten, Duschen und ein kleines Restaurant befinden sich gleich neben dem eiskalten Quartier in einen modernen Gebäudetrakt." Der Andrang sei groß und die Auslastung der Zimmer lag im letzten Jahr bei sensationellen 92 Prozent, so Brain. Es gebe sogar Wartelisten, obwohl die allermeisten Gäste nur eine Übernachtung buchen. Das liegt aber nicht nur an den kalten Temperaturen, sondern auch an den heißen Zimmerpreisen. Für eine Übernachtung in der Suite sind 440 kanadische Dollar zu berappen. Auch das Standardzimmer kostet immerhin noch 380 kanadische Dollar. Doch das hält die wenigsten davon ab, einmal das Abenteuer zu erleben, in einem riesigen Kühlschrank zu nächtigen. Moderatere Preise zahlen die Neugierigen, die nur einmal schauen und in der Eisbar einen Drink nehmen wollen. Sie sind schon mit 17,50 kanadische Dollar bei der Eisparty dabei.
Wo ist der Indian Summer zu sehen?
Place Royal in Québec
Herbstfarben am Sankt-Lorenz-Strom
Jetzt im Herbst interessiert die Touristen in Québec keine künftige Winter-Sensation, sondern nur eines: die Suche nach dem Indian Summer. "Angestachelt durch die Werbetexte der Reiseveranstalter", so weiß Fremdenführer Odo Mayer, "lautet dann jede zweite ihrer Fragen: Wo ist die Farbenpracht des Indian Summer zu entdecken? Und mir fällt die Rolle zu, sie enttäuschen zu müssen und traurig zu stimmen. Im September gibt es dieses Phänomen der roten Blattfärbung, meist von Ahornblättern, noch nicht." Und wie ist es im Oktober? Schließlich fahre ich von Québec kommend am Sankt-Lorenz-Strom entlang Richtung Norden in die Region Charlevoix. Bekomme ich dort den Indian Summer zu sehen? "Vielleicht, das ist von vielem abhängig, vielleicht" lautet die Antwort.
Ein Reisebericht aus dem Jahr 2012 von Ronald Keusch mit Fotos von Ronald Keusch, Hotel de glace (2)