Der kleine verträumte Ort Neuzelle im Osten von Brandenburg hat in jüngster Zeit einen ungewöhnlichen Besucheransturm zu verzeichnen. Neuzelle ist zwar schon lange ein touristischer Anziehungspunkt durch das im 13. Jahrhundert gegründete Kloster-Ensemble mit dem mittelalterlichen Stiftsgebäude, der prunkvollen Barock-Kirche und dem eindrucksvollen Klostergarten, doch nun geben sich Journalisten, Brauereivertreter und Biertrinker aus aller Welt in der benachbarten Klosterbrauerei die Klinke in die Hand. Denn hier hat sich eine Revolution angebahnt, die sich inzwischen weltweit herumgesprochen hat. Die Klosterbrauerei ist der Geburtsort, um aus einem Pulver mit Wasser aufgegossen gut schmeckendes Bier herzustellen, sozusagen das trockenste Bier weltweit.
Namensstreit um das Schwarzbier
Die Klosterbrauerei Neuzelle schaffte es schon einmal für mehrere Jahre - allerdings ungewollt - in die Schlagzeilen. Die Geschäftsführer der Klosterbrauerei, Vater Helmut und Sohn Stefan Fritsche, mussten sich in den 90er Jahren der bürokratischen Übergriffe von Beamten der Landesregierung Brandenburg erwehren. Der Streitpunkt war das nach alter mönchischer Brautradition hergestellte Schwarzbier "Schwarzer Abt" mit einem fein abgestimmten Quäntchen Zucker zur Veredlung des Geschmacks. Nach dem Willen des damaligen Landwirtschaftsministers in Brandenburg Edwin Zimmermann sollte das Schwarzbier aus der Klosterbrauerei nicht mehr den Namen Bier tragen dürfen, weil es angeblich gegen Regeln der Bierherstellung verstoße und den Verbraucher täusche. Diese ministerielle Entscheidung auf einer 13 Seiten langen Ordnungsverfügung betraf immerhin 80 Prozent der Produktion der Klosterbrauerei. Doch die beiden Unternehmer Fritsche ließen sich nicht so einfach einschüchtern, und wappneten sich mit Selbstbewusstsein und Witz: Sie druckten auf das Etikett ihrer Flaschen nun statt "Schwarzbier” das Wort "Schwarz....", eben mit vier Punkten. Jeder wusste, wie das Wort Schwarz in Gedanken zu ergänzen war. Auch diese Eulenspiegelei wurde vom Ministerium verboten.
Eulenspiegeleien mit der Bürokratie in Brandenburg
Fünf Kilometer weiter, am anderen Ufer der Oder in Polen, durfte das Schwarzbier aus Neuzelle Bier genannt werden. Und die Unternehmer Fritsche hätten auch die Produktion ins Ausland verlagern und dann ihr Bier als "Schwarzbier" importieren dürfen. Nur in Brandenburg schien es unmöglich zu sein, für diese Bier-Spezialität, die es nirgendwo sonst in Deutschland gibt, eine Genehmigung zu erhalten. Deshalb spielten die Fritsches die Posse weiter mit der nächsten Eulenspiegelei. Auf dem Brauereigelände richteten sie in ihrem Klosterladen hinter einem Vorhang einen kleinen separaten Raum ein. "Wenn Du Deutscher bist, darfst Du dieses Bier mit der Aufschrift "Schwarzbier" nicht sehen. Wer Ausländer ist und das durch Aufzeigen eines Reisepasses beweist, durfte den Vorhang passieren und zu den Flaschen mit dem kompletten Etikett "Schwarzbier" gelangen. "So sind wir damals kreativ mit dieser Posse umgegangen", erinnert sich lächelnd Stefan Fritsche an den Vorhang, der circa ein Jahr dort hing.
Geschäftsführer Stefan Fritsche mit der vom Papst gesegneten Flasche "Schwarzer Abt"
Wie klein sind 0,2 Millimeter?
Die Brandenburger Bürokratie hatte die Klosterbrauerei auch später noch im Visier und schickte eine weitere Abmahnung, dass die Ziffern der 0,5-Liter-Angabe auf dem Etikett um ganze 0,2 Millimeter (!) zu klein gedruckt waren, ein Unterschied, der mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Die Antwort der Fritsches folgte prompt: Auf einem neuen Flaschen-Etikett wurde der Verbraucher aufgefordert, aus einer Folge von 13 Ziffern diejenigen drei Ziffern herauszufinden, die 0,2 Millimeter kleiner gedruckt waren. Wer es herausfindet, so die Verfasser aus Neuzelle, kann dann Beamter beim Land Brandenburg werden. "Wir wollten den Menschen zeigen, was es für unsinnige Regelungen im Land Brandenburg gibt", so Stefan Fritsche. Haben die Neuzeller Bierbrauer nur ein paar Flaschen mit diesem Etikett beklebt? "Nö, dieses Etikett klebte damals auf einer Jahresproduktion von 100.000 (!) Flaschen" - so die Antwort.
Höchster Richterspruch für Klosterbrauerei
Der Kampf um den Namen Schwarzbier fand schließlich sein Finish in der deutschen Rechtsprechung. Die Klosterbrauerei wurde dann vom Land Brandenburg vor den Bundesverwaltungsgerichtshof in Leipzig gezerrt, immerhin das oberste Verwaltungsgericht Deutschlands und Stefan Fritsche kann sich noch gut an den Richterspruch aus höchster Instanz zu ihrem Schwarzbier erinnern, gerichtet an das Brandenburger Ministerium: "Es sieht aus wie Bier, schmeckt wie Bier, riecht wie Bier, wirkt wie Bier…Wenn das jetzt nicht Bier heißen würde, wäre es doch eine viel größere Täuschung des Verbrauchers." Eine Brauerei muss das machen dürfen, was in einem gesetzlichen Rahmen möglich ist, der Staat kann keine Rezepturvorschläge machen, so der endgültige richterliche Bescheid. Happy End für das Schwarzbier aus der Klosterbrauerei Neuzelle, es darf weiterhin Schwarzbier heißen und damit auch weiterhin in Deutschland produziert werden. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Sachlage für die obersten Richter sehr eindeutig für Neuzelle sprach und sie dem Land Brandenburg gerne Nachhilfe bei der Rechtsprechung anboten.
Flaschenreinigungsanlage
Segen vom Papst in Rom
Neben dieser Absegnung des Schwarzbieres vor dem Bundesverwaltungsgericht holte dann Stefan Fritsche mit seinen pfiffigen Mitarbeitern auch tatsächlich den Segen für eine Flasche "Schwarzer Abt" vom Papst in Rom ein. Ein Team der Klosterbrauerei nahm am 14. Mai 2014 an der Generalaudienz auf dem Petersplatz teil. Diese nun in Rom gesegnete Flasche hängt beim Brauen immer über dem aktuellen Sud und wird täglich "eingetunkt". Die Brauereimitarbeiter beobachten seitdem auch immer mal wieder kleine Wunderheilungen. So wurden nach Brauereirundgängen immer wieder mal einige nicht mehr benötigte Gehhilfen in der Brauerei aufgefunden. Eine Spur von Homöopathie? Oder doch nur Vergesslichkeit nach angeregtem Biergenuss?
Das trockenste Bier der Welt: Bierpulver aus Neuzelle
Kirschbier wird Verkaufsschlager
Doch nicht allein dank der Segnungen hat sich die Klosterbrauerei gut entwickelt. "Etwa 90 Prozent unserer Produkte entsprechen nicht dem Reinheitsgebot", so Stefan Fritsche. Die Produkt-Palette ist gewachsen und zeigt kreatives Herangehen, ob bei Kirsch-, Spargel-, Apfel- oder sogar Bade-Bier. "Unser Kirschbier ist ein Verkaufsschlager geworden", erzählt Stefan Fritsche. "Das haben unsere Mitarbeiter mit unserem Braumeister über zwei Jahr entwickelt. Das ist keine Kopie. Und wir können es durchaus mit dem schon länger existierenden belgischen Kirschbier vergleichen, unser Kirschbier schmeckt einem Großteil der Kunden sogar besser." Nicht wenige haben die Produkte aus der Klosterbrauerei kritisch gesehen. Auch für einige aus der Zunft waren sie die Bierpanscher, die mit dem Bier Schindluder betreiben. Doch mittlerweile werden sie immer öfter auch von den deutschen Kollegen besucht und hin und wieder sogar kopiert. 42 Sorten gibt es heute und jede zehnte Flasche aus Neuzelle geht in den Export in alle Welt.
Die Idee: Bier in Pulverform
Wer so kreativ eine Brauerei führt, über einen starken Willen verfügt und innovativ agiert, der schafft es auch, mit einem Produkt disruptiv zu sein, also den Markt sinnbildlich auf den Kopf zu stellen. Der Bierexport der Brauerei nach Asien und die USA erforderte schwere Container für Flaschen und Kästen, die Übersee-Container können außerdem nicht vollgepackt werden. "Da kann man schon mal auf die Idee kommen, vielleicht Bier in Pulverform zu produzieren, das dann erst am Zielort mit Wasser aufgefüllt wird", erklärt Stefan Fritsche. Viele altgediente Brauer meinten sofort, das funktioniere nicht, das könne man nicht machen. "Aber ich bin kein Braumeister, sondern Unternehmer und überlegte - vielleicht geht es doch ..." Der Zeitpunkt war das für viele Betriebe schwierige Jahr 2022, als die Corona-Maßnahmen herrschten und als die Betriebskosten für Energie zu explodieren drohten. Forschungsgelder von 300.000 Euro vom Land Brandenburg gaben dann den Bierbrauern in Neuzelle Rückenwind, um das erste Bierpulver zu entwickeln.
Schmeckt besser als das britische Ale
"Im Februar 2023 war die erste Charge des Bierpulvers fertig und wir stellten unser Ergebnis im März in Berlin einigen Pressevertretern vor. Das Pulver im Wasser verrührt sah aus wie Bier, hatte Schaum, schmeckte wie Bier, allerdings alkoholfrei", erinnerte sich Stefan Fritsche. Das war der Startschuss für die Medien aus allen Kontinenten. Stefan Fritsche wurde vom Medien-Unternehmen Daily Mail nach London eingeladen. Die Briten vergleichen das Bierpulver-Bier mit dem britischen Ale und fanden sogar, es schmecke besser als ihr Bier vor Ort.
Die Stiftskirche St. Marien des Klosters Neuzelle
Eigenproduktion in kleinen Schritten
Viel Rückenwind gab es für das Projekt auch durch die gute Öko-Bilanz der Bierpulver-Produktion: Einsparungen bei Energie und Transporten, beim Wasser, kein Glas für Flaschen und kein Plastik für Bierkästen. Ein passender Investor hat sich noch nicht gefunden. Stefan Fritsche kann sich den bekannten englischen Investor Richard Branson mit seiner Virgin-Group vorstellen oder den global wirkenden Unternehmer und Visionär Elon Musk. Gegenwärtig geht die Klosterbrauerei die Produktion selbst in kleinen Schritten an. Bereits hunderte Kunden haben ihr Interesse angemeldet.
Keine Konkurrenz zu regionalen Brauereien
Die ersten Chargen Bierpulver sind in drei Ländern Europas produziert und wurden bereits ausgeliefert. "Das Bierpulver macht der eigenen Bier-Produktion vom Neuzeller Kloster-Bräu oder anderen mittelständischen Brauereien keine Konkurrenz", ist sich Stefan Fritsche sicher. Es wird immer die kleinen und mittelständischen Traditions-Brauereien geben, die in den Regionen tief verwurzelt sind. Viel eher könnten sich weltweit agierende Bierkonzerne mit durchschnittlicher Bierqualität bedroht fühlen. Aber der Bier-Weltmarkt ist mit einem 450 Milliarden Euro Umsatz riesig.
Der Barockgarten des Klosters Neuzelle
Bier-Visionen ohne Grenzen
Manches ist vergleichbar mit dem Instant-Kaffee, der sich zu einem zusätzlichen Markt neben dem gemahlenen Kaffee und den ganzen Kaffeebohnen entwickelt hat. Das Bierpulver schafft zusätzlich noch die Möglichkeit für eigene Kreationen, ohne Braumeister zu sein - gerade weltweit. Den Biervisionen sind kaum mehr Grenzen gesetzt. So gibt es beispielsweise ein Rauchbier in Bamberg, das etwas nach Schinken schmeckt. Warum könnte nicht aus einer Thüringer Rostbratwurst und Bierpulver ein Röst-Bier werden. So ein Bier könnte dann sogar von einem Wurstproduzenten hergestellt werden, er braucht kein Bierbrauer zu sein. Und dann ist auch die Wasserqualität unterschiedlich. Das Bierpulver schmeckt zum Beispiel mit besonders sauberem Wasser aus Grönland oder im Himalaya anders und ist dann sogar noch schmackhafter.
Im Klosterladen
Neue Biergattung "Imperial Dry Ale"(IDA)
Es gibt, so Stefan Fritsche, jede Menge an Möglichkeiten, Perspektiven, Chancen beim Thema Bierpulver. Das Pulver existiert und ist nicht mehr wegzudenken. Der Anfang ist gemacht, den internationalen Biermarkt aufzumischen. Die neue Biergattung trägt auch schon ein internationales Aushängeschild mit dem Namen "Imperial Dry Ale"(IDA) und damit ist seit langer Zeit einmal wieder eine Erfindung aus deutschen Landen weltweit platziert. Die Gesamtkomposition soll niemand, auch nicht durch Patentanmeldungen kennen oder nachvollziehen können, sie bleibt ein Geheimnis. "So ist es einfacher, mit uns zu kooperieren, statt uns zu kopieren", heißt es bei den Machern in Neuzelle. Und wenn heute schon mit Bierpulver der Geschmack eines alkoholfreien Bieres übertroffen werden kann, braucht es nur noch etwas Entwicklung, um auch Alkohol in die Pulverform mit hineinzupacken. Mittlerweile erreichen die Klosterbrauerei Neuzelle Bewerbungen aus der ganzen Welt, um hier eine Ausbildung zu beginnen oder zu arbeiten. Aber ein Resümee von Stefan Fritsche lautet auch: "Ein Neuzeller Bier, gebraut mit Liebe und sieben Wochen Brau-Zeit, frisch gezapft aus dem Brau-Tank - ein solches Bier schmeckt anders als das mit Wasser aufgefüllte Bierpulver. Das wird immer so sein und bleiben."
Prunkstück Klostergarten
Der Besucher der Klosteranlage von Neuzelle kann sich auf ein traumhaftes Ensemble freuen, für das zur Rekonstruktion und Erhaltung 80 Millionen Euro aufgewendet wurden. Heute zählt die Anlage zu einer der weltweit besten erhaltenen Klosteranlagen. Ein Prunkstück ist der gepflegte Klostergarten. Besonders imposant erhebt sich die Stiftskirche St. Marien aus dem 14. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert erfuhr die ursprünglich gotische Kirche zahlreiche Erweiterungen im barocken Stil. Hier in der Klosteranlage besteht sogar die Chance, Mönchen zu begegnen und am täglichen Gebet teilzunehmen.
Im klösterlichen Gemäuer der Brauerei
Die Besichtigung der Klosteranlage sollte dann mit einem kleinen Rundgang durch die klösterlichen Gemäuer der Brauerei fortgesetzt werden - täglich ab 13 Uhr auch ohne Anmeldung. Sie ist eine der wenigen Brauereien, in der man durch die aktuelle Produktion gehen kann. Der Besucher läuft auf knarzenden Holzdielen, riecht das Bier und ihm wird eine einhundertjährige Malzmühle mit Transmissionsriemen als Antrieb präsentiert. Im Klosterladen sind die meisten der 42 Sorten Bier und Limonade aus der Klosterbrauerei vertreten - das Bierpulver wird sicher auch bald im Angebot sein.
Text und Fotos von Ronald Keusch und Stefan Fritsche.