Die Stadt auf den Inseln

Die Hafenstadt Swinemünde (Swinoujscie) auf dem Weg zur Touristen-Hochburg an der Ostsee.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Die Geschichte von Swinemünde reicht bis ins Mittelalter zurück. In dem kleinen Dorf Westswine betrieben ein paar Bauern etwas Landwirtschaft, Fischfang und eine Fähre über die Swine, den Hauptmündungsarm der Oder in die Ostsee. Im Jahr 1297 wird erstmals der Hafen Swinemünde erwähnt. Aber erst im 18. Jahrhundert trieb Friedrich der Große den Ausbau zu einem Seehafen zügig voran, Händler und Handwerker siedelten sich an und der Seeweg nach Stettin entlang des Flusses Swine wurde ausgebaut. Im Jahr 1824 wurde das See- und Solbad Swinemünde gegründet und die erste Badesaison offiziell eröffnet. Dann zwei Jahre später wurden 626 Badegäste gezählt. So viel Gäste beherbergt heute allein das Radisson Blu Hotel, nur eines von 270 modernen Hotelanlagen, nicht gerechnet die Apartmenthäuser und Ferienwohnungen. Und wenn man aus dem Hotelfenster auf die Promenade schaut, dann sieht man Kräne ohne Ende - es wird weiter gebaut. Schon immer war der Ort Swinemünde - seit 1945 heißt er Swinoujscie und gehört zu Polen - mehr als nur eine kleine Hafenstadt an der Ostsee. Swinemünde liegt 55 Kilometer nordwestlich von Stettin, und die Zufahrt über die Swine sicherten die Preußen durch imposante Bauten von Festungsanlagen ab. Die Stadt erstreckt sich über den östlichen Teil der Insel Usedom sowie die Inseln Wollin und Kaseburg und hat einen traumhaften Strand - ein Mekka für Badetouristen.


Das historische Rathaus von Swinemünde, heute ein Museum

Die längste Strandpromenade Europas


Neujahrsspaziergänger am Strand


Markenzeichen von Swinemünde: Breite Strände

Der Sandstrand, im Durchschnitt 40 Meter (!) breit, zieht sich zwölf Kilometer lang bis zu den drei Kaiserbädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin auf der deutschen Seite der Insel Usedom und im weiteren Verlauf der Küste insgesamt 42 Kilometer weit sogar bis nach Peenemünde. Völlig zu Recht wird dieser Küstenabschnitt als längste Strandpromenade Europas gefeiert. Dieser Küstenstreifen, mit durchgehenden Radwegen ausgestattet, führt über nur mit Tafeln beschilderten Grenzübergängen zu den deutschen Badeorten. Er ist ein anschauliches Symbol für ein gutnachbarschaftliches Zusammenleben in Europa.


Fähren der Unity Line fahren nach Ystad und Trelleborg

Die allermeisten Urlauber - so auch zu meinem Besuch an den Silvestertagen 2022 in Swinemünde - nehmen auch in dieser Jahreszeit das Angebot zu Spaziergängen in der malerischen Küstenlandschaft an. Wobei mehrere Spazierwege für den Besucherstrom vorhanden sind. Die meisten wandeln direkt im Sand am Meeressaum. Sanfte Ostseewellen weichen den Weg auf und an einigen Stellen kreisen kleine Schwärme von Seemöwen, ein paar Schwäne schwimmen nahe am Strand und am Neujahrstag sieht man sogar ein paar Eisbader, die den kühnen Sprung ins Meer wagen. Die nächste Laufstrecke verläuft daneben auf dem breiten Strand, etwa fünf bis zehn Meter vom Küstenstreifen entfernt und ist ein ausgetretener, weit gefächerter Spazierweg. Die dritte Spazierstrecke führt gleich hinter dem Strand auf den Dünen entlang. Hier ist der aufkommende Wind von der Ostsee kaum mehr zu spüren, es findet sich ab und an eine Sitzbank und manchmal gibt das lange Dünengras einen Blick auf das Meer frei. Und parallel dazu gibt es dann die gepflasterte wirkliche Promenade, auf der das Publikum schlendern kann, vorbei an Verkaufsständen und den durchnummerierten Zugängen zum Strand. Hier sind dann auch Hotels und Strandvillen aller Größe und Couleur zu finden. Auf diesen vier Boulevards ist in den Tagen um den Jahreswechsel bei Sonnenschein wie auch bei bedecktem Himmel ein ständiger Besucherstrom unterwegs. Viele kommen traditionell aus Berlin, aber auch aus Brandenburg, Mecklenburg und Sachsen-Anhalt. Einheimische und polnische Urlauber sind hier ebenfalls unterwegs. Denn schließlich ist Swinoujscie die einzige Stadt Polens, die auf der Insel Usedom liegt und sie ist ein attraktives Touristenziel auch für polnische Urlauber. Das Faszinierende: Die breiten Strände bieten viel Platz, niemand muss sich bedrängt fühlen, alle Besucher passen in die Landschaft. Ob es zur Hochsaison im Sommer auch so ist?

Eine Festung wurde Museum


Die Mühlenbake auf der Westmole

Der Spazierweg am Strand nach Osten führt zu einem Wahrzeichen von Swinemünde. Auf der 1020 Meter langen Anfang des 19. Jahrhunderts erbauten West-Mole steht ein elf Meter hoher runder Steinturm, die Mühlenbake - ein Seezeichen, mit vier festen Flügeln und einem Leuchtfeuer. Doch nur wenige hundert Meter weiter ist das höchste Leuchtfeuer der Ostsee auf dem berühmten 68 Meter hohen Leuchtturm von Swinemünde zu sehen. Der Leuchtturm liegt auf der Insel Wollin und wurde 1854 bis 1857 aus Backsteinen errichtet. Heute ragt er zwischen den Hafenkränen heraus.


Der höchste Leuchtturm an der Ostsee


Schiff der Reederei Adler mit Tagesgästen von den drei Kaiserbädern

Noch in Sichtnähe des Leuchtturmes beginnt die gut erhaltene Festungsanlage aus der Preußenzeit mit dem Westfort (Fort Zachodnie), der Engelsburg sowie dem Fort Gerhard auf der gegenüberliegenden, der Wolliner Seite, die alle zu besichtigen sind. Hier im Westfort befindet sich als ein Teil der Festung die Westbatterie. Im Jahr 1856 bis 1861 zur Bewachung der Hafeneinfahrt und mit vier Kanonen bewaffnet, ist sie heute ein Tummelplatz für Touristen. Dabei hat dieser Teil der Festung bis zur heutigen Sehenswürdigkeit eine recht abwechslungsreiche Karriere hinter sich. Unter den Preußen war hier eine Küstenartillerie-Schule, im 2. Weltkrieg eine Verteidigungsstellung, dann eine Batterie der sowjetischen Marine, später an Polen übergeben. In den 60er bis Ende der 90er Jahre wurde in der Batteriebunkern ein Obst- und Gemüselager eingerichtet. Dann wurde die Anlage verpachtet und ein Museum der Festungsgeschichte eingerichtet. Die Tourismusbroschüren kündigen nunmehr den Besuchern ein militär-historisches Denkmal an.


Flak im Freigelände des Museums

Friedlich vereint in historischer Waffenschau


Uniform- und Waffenschau

Auf dem Freigelände des Museums sind Kanonen zum Anfassen aufgestellt. Es mag nun nicht jedermanns Sache sein, wenn man als Besucher sieht, wie ein kleiner Junge mit Spaß auf einer Flak sitzt und vom Vater gedreht wird. Vor 78 Jahren saßen junge deutsche Flakhelfer nicht freiwillig an diesen Kanonen. Und doch ist in jedem Fall für manchen Besucher tröstlich, dass sich auf dem Batteriegelände sowjetisches, wehrmachts-deutsches und polnisches Kriegsgerät in Koexistenz friedlich verteilt. Da gibt es keinen ideologischen Zeigefinger, der eine Einteilung in gute und böse Mordinstrumente vornimmt.


Antikriegs-Museumsstück

Dieser Grundtenor setzt sich im Museum konsequent fort. Da schaut der Besucher auf Uniformen und Ausrüstungen sowjetischer Soldaten aus dem 2. Weltkrieg. Und gleich nebenan werden Wehrmachts- und Marine-Uniformen auch aus dem 2. Weltkrieg nebst unterschiedlichen Waffen wie dem MG 42 mit 25 Schuss pro Sekunde ("Hitlersäge") präsentiert. Im Museum des Gemäuers einer früheren Küstenbatterie dürfen auch die Minen nicht fehlen. Da wird eine russische 75 Kilogramm schwere Kontaktmine mit 20 Kilogramm Sprengstoff ausgestellt. Daneben ist der Sprengkopf der deutschen Gleitbombe von Henschel zu besichtigen, die zehn Kilometer vom Ziel entfernt auf einer Höhe von vier Kilometern von einem Bomber abgeworfen wurde. Beim Rundgang durch das Museum lächeln harmonisch insgesamt fünf Gesichter von Offizieren in Uniform mit Mütze die Besucher an. Es sind russische Generäle und Admiräle mit ordensgeschmückter Brust, die hier im Militärhafen ihren Dienst absolvierten. Vielleicht zum Ausgleich ist auch in eine Metallplatte eingraviert der Kopf von Generalfeldmarschall Hindenburg zu entdecken. Das Museum erinnert auch an einen verheerenden Luftangriff am 12. März 1945 auf den Marinehafen, bei dem die Stadt zum größten Teil zerstört wurde und es viele Tausende Tote gab.


Lincoln Ausspruch

Angesichts des Stellvertreterkrieges zwischen USA und Russland in der Ukraine lässt das Museum als ein Resümee der Ausstellung einem US-Amerikaner zu Wort kommen: "Es gibt nichts Gutes am Krieg von seinem Ende einmal abgesehen", sagte Abraham Lincoln. Wäre dieser Satz in den derzeit überwiegend kriegsbegeisterten deutschen Medien nur eine Ordnungswidrigkeit oder sogar Landesverrat?

Auf den Spuren von Lyonel Feininger

Führt der Spaziergang von der Ostseeküste in Richtung Hafen und Stadtkern, passiert man den Kurpark. Er wurde schon 1826 von Lenné geplant, allerdings nach Streitigkeiten mit der Stadt über die Bezahlung nicht von ihm vollendet. Daher ist er im Ostteil, der an das Fort angrenzt und bis zur Swina reicht, eher ein urwüchsiger Wald. Der Park war, wie der gesamte Hafen und auch die Festung vom Ende des 2. Weltkrieges bis 1962 durch die Rote Armee zum Sperrgebiet erklärt worden. Heute sind im Kurpark von Swinoujscie schöne Baumalleen mit vielen Parkbänken, ein Konzertplatz mit Konzert-Pavillon, Sportplätze und Kinderspielplätze zu finden. Immer wieder stößt man auf blau-weiße Schilder mit einem Fahrrad und dem Schriftzug "Feininger-Tour". Und wenn man aufmerksam auf den Boden schaut, sieht man in das Pflaster eingelassene Bronze-Plaketten mit den Stationen einer 56 km langen Radtour. Von 1908 bis 1918 weilte der deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger regelmäßig auf der Insel Usedom, erkundete von Heringsdorf, Neppermin oder Benz die Insel und suchte nach neuen Motiven. Er war als leidenschaftlicher Radfahrer stets mit dem neuesten Rennrad seiner Zeit ausgestattet und hat mit diesem - nach Überlieferungen - in jedem Jahr rund zehntausend Kilometer zurückgelegt. In Swinemünde hielt er immer wieder die Molen, die Mühlenbake, Fischer und Fischerboote, den Hafen, den Leuchtturm, das Rathaus und die im Krieg zerstörte Stadtmühle in Zeichnungen, Holzschnitten und Aquarellen fest. Der Feininger-Radweg wurde 2009 eröffnet und hat 40 Stationen, an denen der Urlauber mit über 80 Werken des Künstlers bekannt gemacht wird.

Zu Kaffee und Kuchen bei Hemingway


Der Kurpark im Winter

Ist der kleine Stadthafen erreicht, wird der Besucher zum Bummeln in die Fußgängerzone der Bohaterów Wrzesnia eingeladen. Hier stößt man unweigerlich auf "El Papa - Cafe Hemingway". Ich denke noch beim Öffnen der Tür des Cafes über den ungewöhnlichen Namen nach. Dann stehe ich in einem Verkaufsraum für Kuchen und an der Wand sitzt auf einer riesigen Foto-Collage der berühmte US-amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway himself an seiner Schreibmaschine. Beim näheren Hinsehen entdecke ich an der Wand Porträtkopien von Hemingway und stapelweise Bücher von ihm. Im großen Gästeraum haben sich an ganz unterschiedlichen gestylten Tischen und Stühlen eine Menge Gäste eingefunden. Hier hängen an den Wänden Bilder einer Malerin, auch kleine Konzerte und Lesungen finden hier einen Platz. Ich treffe den Eigentümer Marek Lapinski. Das Cafe ist erst vor sieben Jahren eröffnet worden. "Meine Mutter Elsbieta ist eine herausragende Kuchenbäckerin, die ihre kulinarischen "Kunstwerke" nur den renommierten Hotels der Stadt angeboten hat. Und da haben wir, ihre zwei Söhne, zu ihr gesagt, diesen großartigen Kuchen können wir auch selbst verkaufen. Wir gründen ein Cafe", erinnert sich Marek. Und da er einen künstlerisch begabten Bruder hat, lieferte der ihm die Idee mit Hemingway. Mittlerweile hat sich der kulturelle Treffpunkt mit dem Edel-Gebäck herumgesprochen. Und Marek erzählt stolz, dass inzwischen Hemingway-Werke in 14 Sprachen zur kleinen Cafe-Bücherei gehören. Mittlerweile haben die rührigen Brüder nur hundert Meter entfernt dem Schriftsteller ein weiteres Denkmal gesetzt. Sie eröffneten ein Restaurant und Pub mit dem Namen "El Papa Pilar". Der Name hat seinen Ursprung in Hemingways 12 Meter langem Fischerboot, mit der er viele Fahrten unternahm und auch Anregungen für seine Schriftstellerei erhielt. Die Familie Lapinski hat mit ihrem Hemingway Doppelaufschlag einmal mehr etwas zum Image der Polen beigetragen, dass manche Nachbarn über die Landesgrenzen vielleicht etwas neidisch anerkennen: Originelle und kreative Ideen entwickeln und konsequent umsetzen, Made in Poland.

Spezialität Eisfisch an der Ostseeküste


Lyonel-Feininger Radweg


Bronze-Plakette an der Station 38, der Westmole von Swinemünde


El Papa - Cafe Hemingway


Im Cafe Hemingway

Wenn den Besuchern bei ausgiebigen Wanderungen am Ostseestrand oder Fahrradtouren auf Promenaden und Fahrradwegen die Ostsee Luft um die Nase weht, Wellen rauschen, Möwen kreisen, dann stellt sich Appetit und Hunger ein. Wie es sich für einen Hafenort gehört, der auch eine wachsende Zahl von Touristen empfängt, kann Swinemünde auf seiner Promenadenmeile mit mehr als einem Dutzend Fischgaststätten aufwarten. Wenn anderswo in manchen kleinen Querstraßen Steakhaus an Steakhaus und Pub an Pub aneinandergereiht sind, so sind es hier die Restaurants, wo nur der Fisch auf den Teller kommt. Eine Spezialität und der unangefochtene Favorit ist der Kergulena - der Eisfisch. Er stammt nicht aus der Ostsee, sondern schwimmt in antarktischen Gewässern, im Südpolarmeer. Auf den Karten sind sie alle vertreten, die Heringe und Zander, die Barsche und der Kabeljau oder Dorsch, die Forelle und der Lachs, die Dorade und die Seezunge. Doch sie alle können nicht ernsthaft mit ihm konkurrieren, dem Kergulena mit dem ganz weißen Fischfleisch. Wer in Swinemünde "zum Fisch essen" geht, was sonst (!), der sollte ihn nicht verpassen.


Marek Lapinski mit Mutter und Sohn

Text und Fotos von Ronald Keusch

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