Hall ist das Kunststück gelungen, in einer der besterhaltenen Altstädte in Österreich das mittelalterliche Flair mit der Neuzeit elegant zu kombinieren. An vielen Plätzen der Stadt sind Spuren seiner bedeutungsvollen Vergangenheit zu finden. Salzquellen und Salzwerke, mittelhochdeutsch "hal", darauf geht auch der Ortsname zurück, machten im 14. Jahrhundert die Stadt reich und mächtig. Wie kann man sich Hall und seiner Region nähern, mehr erfahren? Ein Weg führt über die kulinarische Entdeckungsreise. Denn nicht nur die Landschaft der Berge hat den Charakter Tirols und seiner Bewohner geprägt, sondern auch die Küche.
I. Gang: Die Altstadt von Hall und der Goldene Löwe
Ein Bummel durch die Altstadt von Hall, die insgesamt unter Denkmalschutz steht, macht neugierig. Es erwarten den Besucher unzählige Durchgänge, verwinkelte kleine und große Innenhöfe und enge Gassen. Ganz typisch an den um die 500 Jahre alten Häuser sind eine Vielzahl von bunt gefärbten Fassaden sowie die zahlreichen Erker-Fenster. Das war der "mittelalterliche Fernseher" für Männer wie Frauen, die das Geschehen auf den Gassen beobachten konnten. Der Mittelpunkt der Stadt ist der Obere Stadtplatz mit der dominierenden Pfarrkirche und dem unscheinbaren Rathaus. Hinter Häuserwänden in einer Ecke des Platzes versteckt, residiert hinter einem schmalen Toreingang der traditionsreiche "Goldene Löwe". Das erste Speise-Restaurant am Platze lässt es sich nicht nehmen, neben den edlen Österreich-Spezialitäten wie Tafelspitz oder Wiener Kalbsschnitzel auch ganz Uriges aus Tirol anzubieten. Dazu gehört:
Oma`s Kartoffelblattl`n mit Sauerkraut
Diese Traditions-Gerichte signalisieren den in der Vergangenheit vorherrschenden einfachen Speiseplan, der das harte und ärmliche Leben in bäuerlichen Almwirtschaften mit begrenzten Anbauflächen und langen Wintern charakterisierte. Doch der "Goldene Löwe" ist mit seinen üppig traditionell eingerichteten gemütlichen Räumlichkeiten auch die Heimat eines bekannten Künstlers, des Metallbildhauers Rudolf Reinhart. Eine große Zahl seiner eleganten und grazilen Kupfer- und Messingblech-Arbeiten sind hier ausgestellt und schmücken die Gasträume. Auch an den ältesten Gassen der mittelalterlichen Altstadt, so am Beginn der Schmied-Gasse oder am langen Graben sind als imposantes Namensschild die Arbeiten des Metallbildhauers an der Fassade verewigt.
II.Gang: Der Gasthof Badl am Ufer des Inn
"Unsere Knödel in Tirol sind die österreichische Pasta", erklärt Sonja Steiner, die Chefin im Gasthof Badl. Sie ist die fünfte Generation, die das kleine Familienhotel mit heute 25 Zimmern führt. Es liegt an der Stadtgrenze von Hall direkt an der rechten Seite des Inn. Sonja Steiner führt auch die Regie in der Küche und bekocht persönlich ihre Gäste, die das hoch schätzen. Das Haus wurde 1640 von einem Bader gebaut, im Mittelalter der Arzt der kleinen Leute und wurde später zu einem großen gut florierender Gasthof mit ein paar Fremdenzimmern umgewandelt. Erst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann hier das Zeitalter des Tourismus mit den ersten Urlaubern aus Frankreich und dem schrittweisen Ausbau der Zimmer. Keines der teilweise großzügig angelegten Zimmer hat den gleichen Schnitt, alle sind individuell eingerichtet. Das kann wohl kaum ein Hotelneubau schaffen.
Das Credo von Sonja Steiner: "Ich koche nur das, was ich kann und gelernt habe. Bei uns ist jede Soße und jede Suppe selbst zubereitet, jeder Knödel und jeder Kasspatz selbst gemacht." Der Deutsche hat für die Knödel als Basis zumeist die Kartoffel, in Tirol ist es das Knödelbrot. Und Sonja betont: "Jedes Essen, das ich herstelle, sollte ich selbst mit Vergnügen essen." Im Gasthof Badl gibt es nur eine kleine Speisekarte, die allerdings von Tag zu Tag etwas verändert wird. Wenn Köchin Sonja frische Steinpilze bekommt oder jemand ein Reh geschossen hat, dann steht das auf der Speisekarte. Und wenn Lammfleisch geliefert wird, von Tieren, die das ganze Jahr auf den Almen leben, dann stehen nicht nur Lammfilets, sondern Lamm-Variationen mit Lamm-Krone, Lammbraten und Lamm-Ragout auf der Speisekarte. Und im Sommer wird Sonjas Küche vor allem mit Salaten, Kürbis und Zucchini sowie etwas Obst von ihrer Mutter beliefert, die als Pensionärin noch einen sehr großen Garten bewirtschaftet. Sonja serviert:
Hirsch-Ragout mit a bisserl Rotkraut und Johannisbeeren, einem Pfifferling-Knödel, ein paar Spazerln und Polenta.
Die Polenta aus Maisgries ist in Tirol auch ein traditionelles Nahrungsmittel. Die Polenta wird von Sonja mit Milch statt Wasser angemacht und zusätzlich im Ofen leicht überbacken Wenn die Touristen in den Gasthof kommen, dann erwartet sie hier ein sehr klein strukturiertes Quartier, so etwas wie eine vertraute und behagliche Atmosphäre, manche nennen es ein "heimeliges" Gefühl. Die Zahl der Gäste wächst, die diese bodenständige und authentische Umgebung suchen. Natürlich muss sich alles am Ende auch wirtschaftlich rechnen. Aber hier hat der Gast das Gefühl, seine Gastgeberin und ihr kleines Team können das ausblenden.
III. Gang: Wanderung zur Thauer Alm
Tirols Landschaft mit ihren schroffen Berggipfeln und Klüften, mit malerischen Bergen, grünen Wiesen und Almen ist seit jeher ein Wanderparadies. Unterwegs sein in Tirol heißt auf Schritt und Tritt, die Vielfalt der Natur und Bergwelt zu erfahren. Auf dem Programm vom Hall-Wattens Tourismusverband steht eine Panorama-Wanderung im Naturpark Karwendel. Startpunkt ist die kleine Gemeinde Thaur und Ziel die gleichnamige Alm auf einer Seehöhe von 1.464 Metern. Da der Ort 633 Meter hoch liegt, haben die Wanderer mehr als zwei Stunden eine stetig bergauf führende Wegstrecke zu absolvieren. Das Wandern ist zwar zu keiner Zeit ganz aus der Mode gekommen. Allerdings freuen sich vor allem die Tiroler Touristenverbände, so Wanderführerin Susanne Vianello, dass Wandern schon seit Jahren wieder zu einem Trendsport avancierte. "Wandern ist wieder richtig schick geworden", freut sich die Tirolerin. Auf der Thaurer Alm stehen auf je einer Hausseite zwei große Terrassen mit langen Tischen und Bänken für die Wanderer zur Verfügung. Die Almwirtin Carmen Bichler brutzelt am Herd ihrer Almküche eine der absoluten Spezialitäten in den Tiroler Bergen:
Kaspress-Knödel mit einer reichhaltigen Auswahl von Salaten
Obwohl an diesem schönen Sonnentag viel zu tun ist, findet die Almwirtin noch die Zeit, einen "unschuldigen" namenlosen Obstler zu kredenzen und kurz dem Gast aus Berlin das wohlschmeckende Geheimnis des Kaspress-Knödelfaktor zu lüften. Im flach gedrückte Käseknödel, eine Art Nationalspeise Tirols, sind einheimische, lang gereifte etwas leicht stinkende Käsesorten vom Bauern im nächsten Dorf, Eier von den drei Dutzend Hühnern von ihrem Hühnerhof hinter der Alm, etwas Knödelbrot, Milch von den Kühen der Alm, Gewürze und dann alles in die Pfanne. So schmeckt Urlaub in Tirol, wie man ihn sich vorstellt. Wer den Knödel auf der Alm nicht probiert hat, ist nicht in Tirol gewesen.
IV. Gang: Knödel kneten im Touristenbüro
Der Mythos der Tiroler Gastlichkeit wird auch kulinarisch festgemacht. Es dominieren die selbst gemachten Speisen, ganz vorn an steht die bürgerliche Hausmannskost, die man bis heute häufig auf dem Teller der Einheimischen findet. Speckknödel und Schlutzkrapfen sind zum sprichwörtlichen Symbol für Tiroler Geselligkeit aufgestiegen.
"Eigentlich waren die Knödel über lange Zeit die arme Leute Küche. In den Notzeiten - und die herrschten oft in Tirol - musste damals altes Restbrot sowie Kartoffeln, Grieß und Getreide verwertet werden", erklärt Elisabeth Köhle. Sie ist Kunsthistorikerin und Übersetzerin, als Stadtführerin in Hall unterwegs. In ihrem regelmäßig stattfindenden Kochkurs in einem kleinen Küchentrakt im modernen Gebäude des Tourismusverbandes in Hall werden mit den Touristen zumeist Knödel geknetet. Unter der Überschrift "Verkostung - Tiroler Schmankerln selbst zubereitet" legen die Teilnehmer für eine Gebühr von fünf Euro unter fachkundiger Anleitung tüchtig selbst Hand an, um dann zum guten Schluss alles zu verspeisen. "„Es wird bei den Touristen wieder stärker nach dem ursprünglichen und authentischen Tirol gefragt, nach dem einfachen Essen der Leute", bestätigt Elisabeth Köhle und hält mir einen Topf mit Knödelmasse unter die Nase. Jeder im Kochkurs, auf dem Programm stehen Speckknödel, muss den Knödelteig, nachdem er sich ausgiebig die Hände gewaschen hat, mit bloßen Händen ordentlich durchkneten. "Die Teilnehmer sind oft erstaunt, wie wenig Zutaten nötig sind für unsere Tiroler Schmankerln", stellt Elisabeth fest und übersetzt gleich für mich: "Schmankerl heißt auf tirolerisch: leckeres Essen."
Kaiserschmarrn mit Zwetschgenkompott
Zum Schluss der Küchenlehrstunde will die Tiroler Köchin zum Dessert noch schnell einen Kaiserschmarrn zubereiten, wobei sie versichert, dass nicht wenige Österreicher dieses legendäre Gericht auch als Hauptgang einsetzen. Sie trennt das Eiweiß von zwei Eiern und schlägt es mit einem kleinen Elektro-Rührer zu steifem Schnee. Dazu gibt Elisabeth Eigelb, etwas Mehl, Zucker, Salz, Vanillezucker, rührt es schaumig. Inzwischen wird Butterschmalz in der Pfanne erhitzt und sie kann noch nebenbei etwas erzählen. Es heißt, dass angeblich der Name dieses populären Gerichtes nach der beliebten Kaiserin Maria Theresia benannt wurde. Sie war im 18. Jahrhundert 40 Jahre eine Herrscherin in Europa mit sehr viel Reformeifer und eine Frau, die 16 Kinder zur Welt brachte. Welch himmelweiter Unterschied zur heutigen vermeintlichen Herrscherin in Mitteleuropa. Die Mehlspeise ist mittlerweile in der Pfanne. Nun wird der große gewendete Pfannkuchen von Elisabeth in kleine Stücke zerrissen (der Schmarrn) und mit Puderzucker bestreut. Dazu stellt Elisabeth das obligatorische Zwetschgen-Kompott auf den Tisch. Dieses Mal habe ich mir nach einer Reihe von Besuchen in Österreich fest vorgenommen, einen Kaiserschmarrn am Herd zu Hause in Berlin selbst zuzubereiten.
Text und Fotos von Ronald Keusch