Als Lehrer im Goldenen Dreieck - Teil I

Mit großen staunenden Augen hängt uns Thok an den Lippen, beugt sich vor, um besser verstanden zu werden.
Foto von Andreas Döring
Foto von Andreas Döring

Wir bitten ihn um Sätze wie "I put the plate on the table", während er einen Teller auf dem Tisch vor uns abstellt. Thok ist 34, ein gestandener Farmarbeiter in Gummistiefeln, muskelbepackt, der unbedingt mitmachen wollte, als er hörte, wir geben Englischstunden für seinen Nachbarn Wood. Er fährt mit einem uralten Pickup vor, viel zu früh (ihr Deutschen seid doch immer pünktlich), wartet höflich mit dem Aussteigen, bis er uns kommen sieht.


Unser Dorf im Niemandsland


Nordthailand-Myanmar, Bolz- und Soccerfield im Vordergrund

Sein Mitschüler Wood ist ein schüchterner, fast ängstlicher 14-jähriger mit Pubertätspickeln, der uns ans Herz gelegt wurde - und da lag er von der ersten Minute an: er hatte den Hauptschulabschluss nicht geschafft, muss ein halbes Jahr nachholen in Familienverhältnissen, die bemitleidenswerter nicht sein können. Papa säuft, Mama verdient für vier und pflegt in der wenigen verbleibenden Familienzeit Woods behinderten Zwillingsbruder - Wood kam und kommt immer zu kurz, hat kaum Freunde und verkriecht sich zuhause.


Basale Unterkunft


Unser Bathroom

Wir treffen die beiden jeden Tag für eine Stunde in der Abstellkammer der katholischen "Kirche der unbefleckten Empfängnis" in Mueang Ngam im Goldenen Dreieck - zwischen kopflosen Pappmaché-Marienstatuen, Lautsprecherboxen, vergilbten Blumenvasen und zugestaubten Kruzifixen. Die treibende Kraft hinter dem Projekt, den Bewohnern dieses Bergdorfs im äußersten Norden Thailands Englisch beizubringen, heißt Father Peter. Er ist der Priester für vier Dörfer, in denen Angehörige der Hill-Tribes leben: ethnische Stämme mit eigener Sprache und Tradition - der Karen-Tribe rund um die weithin sichtbare, quietschblaue Kirche in Mueang Ngam zählt fast ausnahmslos tief gläubige Katholiken. Peter ist unser Gastgeber, zwei Ordensschwestern verpflegen uns, wir wohnen in einer Art Seminarraum ohne jegliche Möbel, schlafen auf einer brettharten Bettstatt auf dem Kachelboden unter löchrigen Moskitonetzhauben. Die Aussentoilette hat Handspülung und unser Waschbecken mit der Schöpfkelle fürs Klo wäre in Deutschland schlicht eine Regentonne. Haben wir so krass nicht erwartet, aber durchaus gewollt. Nicht Urlaub, sondern reisen, nicht durchfahren, sondern ankommen.


Hochzeit

Der Kontakt zu Father Peter lief über eine Internetbörse für Auslandseinsätze: "Come and help local villagers with basic english." Wood und Thok sind außerplanmäßiges Privatissimum: sehr anstrengend für beide Seiten. Die Tutorials sind eins zu eins, wir bereiten uns wie im Referendariat gelernt vor - denn wir wollen sie nicht verlieren und möchten sie schlauer zurücklassen als sie vorher waren. In der staatlichen Schule, die die Freiwilligen von Father Peter einplant für ihren Englischunterricht, bleiben wir nämlich in dieser Hinsicht chancenlos. Sozusagen Worst Case (den wir schon aus ähnlicher Tätigkeit in Sambia kennen.) Wir stehen 45 Minuten lang vor der Klasse links, während Lehrerin Ning vorne rechts die Aufgaben des Schulbuchs in ihrem Rechner aufruft. Die lesen wir dann laut vor, die Klasse spricht unisono im Chor nach. Lauter Muster-Sätze mitten aus dem Leben dieser Farmerkinder: "In an art-gallery, you must be quiet." Oder: "Is there a toy shop in this departement store?" Die Kids langweilen sich sichtlich - weder die Lehrerin, noch die Schülerschaft, geschweige denn wir selbst wissen, warum wir beiden Langnasen da vorne stehen sollen - 45 Minuten können scheiß lang sein.


Trauerfeier

Unbenommen: eine gute Schule, hier oben am Ende der Welt, bei den Hill-Tribes kurz vor Myanmar, den Bergstämmen, die im Rest des Landes belächelt werden. Jede Klasse hat ein funktionierendes Laptop mit schnellem WLAN und Bigscreen über der Tafel - keineswegs selbstverständlich an ländlichen Schulen in Deutschland. In einem Schwellenland so nicht zu erwarten, aber hier oben gilt Ausnahmezustand: die königliche Familie höchselbst hat Schulen im Goldenen Dreieck vorbildlich ausgestattet, um der Opiumkriminalität Herr zu werden und qua Bildung den Hill Tribes legale, nachhaltige Beschäftigung als Alternative zu Schmuggel und illegalem Anbau schmackhaft zu machen.


Gottes Segen fürs Moped

Und Kampf dem Opium nicht nur durch Bildung: es gibt einige hoch subventionierte Projekte, die Arbeitsplätze vor allem im niederschwelligen Tourismus schaffen sollen: Trekking-Touren geführt von Einheimischen, Homestay-Aufenthalte, Tagestouren zu ausgesuchten Hilltribe-Dörfern inklusive kochen, Tanz, Kunsthandwerkverkauf. Und vor allem, ohne dass die Touristen-Dollars bei Agenturen oder Großinvestoren kleben bleiben. Solche Package-Touren kommen in den Prospekten, die in den Hotels der Touristenzentren ausliegen, ein bisschen wie Einladungen in den Zoo daher, schaffen allerdings tatsächlich Arbeit und erlauben einigen aussterbenden Kulturen, wenigstens noch etwas länger vor dem Aussterben bewahrt zu werden. Auch wenn sie jetzt vor Handykameras, voyeuristischen Blicken und ignoranten Fragen stillhalten müssen. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde kommt manchmal eher kläglich daher. Und das halt auch mit unserer Hilfe als Volunteers for teaching basic english. Man darf gern darüber nachdenken, was man anrichtet, bevor man sich bei Wohltätern wie Father Peter bewirbt. Wenn man reist, statt Urlaub zu machen, wenn man ankommen will, statt durchzufahren, gerät man unversehens vom Kleinen und Feinen mitten ins Große und Ganze.

Text und Fotos von Andreas Döring

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