Vulkane, Gletscher und die Weiten der Steppe von Patagonien

Auch noch in Zeiten von Satellitenbildern wird heftig darüber gestritten, wie Patagonien geographisch einzugrenzen ist, wo beginnt und wo endet es?
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Ist es die sagenumwobene unendlich öde Grasebene oder doch ein vielgestaltiges spannendes Naturschauspiel? In jedem Fall ist Patagonien die Region südlich von Santiago de Chile und Buenos Aires, die an der Spitze von Südamerika in Feuerland und Kap Hoorn endet. Und Patagonien ist ein atemberaubendes abwechslungsreiches Reiseland.

Start bei den Vulkanen

Eine Tour der Abenteuer mit dem Mietwagen durch Patagonien beginnt in aller Regel bei den Vulkanen. Der Vulcan Calbuco, in enger Nachbarschaft zum Vulkan Osorno, gehört zu den aktivsten Feuerspeiern in Chile. Er liegt 30 Kilometer nordöstlich von Puerto Montt und elf Kilometer südlich von dem See Llanquihue. Im April dieses Jahres kam es wieder zu einem Ausbruch. Bei Eruptionen floss Lava aus dem Vulkan und eine Aschewolke stieg 15 Kilometer hoch. Ein halbes Jahr später ist die Asche längst von der Fahrbahn weggeräumt, aber an einigen Straßenrändern und auf manchen Feldern sind Asche-Haufen immer noch zu sehen. In einem etwas ausgefallenen Handbuch über Patagonien und Feuerland gibt es eine Geschichte über die Pampa, in der ausufernd die Einöde und Langeweile der Landschaft beschrieben wird, die dadurch, so der Autor, wieder anziehend und attraktiv für die Reisenden erscheint.

Das tiefe Blau der Seen

Bei Puerto Montt, dem nördlichen Tor nach Patagonien, ist von Einöde nur wenig zu spüren. Es wechseln sich eher Postkarten-Motive im Minutentakt ab, die von der Tourismus-Werbung aus den Alpenländern in Europa stammen könnten. Ob am Lago Todos Los Santos oder am Lago Rupanco zeigen sich wunderbare Landschaften. Überquert man auf dem Weg in Richtung Süden den Pass Cardenal Samoré und die Grenze zu Argentinien, wird man weiterhin von blauen Seen wie den Lago Nahuel Huapi und Schnee bedeckten Bergzügen der Anden erwartet. Schließlich führt die Strecke durch Patagonien immer weiter Richtung Süden nach Futaleufu und dem Nationalpark Los Alerces. Das tiefe Blau vom Lago Futalaufquen und dem Lago Verde, in dem sich die weißen Bergspitzen widerspiegeln, bleiben lange in Erinnerung.

Schließlich ist auch weiter südlich auf der legendären Carretera Austral mit den Stationen La Junta und Coyhaique keine eintönige Landschaft auszumachen. Flüsse und Seen und eine üppige Natur prägen den Landstrich.

Der Puyuhuapi Fjord mit seinen Bergketten erinnert eher an Norwegen und nicht an Südamerika. Und der Lago General Carrera, der sich je zur Hälfte auf dem Territorium von Chile und Argentinien befindet, hat sich mit seinem türkisblauen Wasser in das frische Grün der Wälder eingebettet und den Horizont umrahmen weiße mit Schnee bedeckte Bergspitzen.

Hazienda Tres Lagos

So abwechslungsreich wie die Landschaft sind die Reise-Quartiere, kleine Pensionen und Lodgen und eine Reihe von Haziendas. Die Landwirtschaft mit großen Schaf- und Rinderherden stellt für viele nur ein wirtschaftliches Standbein dar. Die Zukunft liegt nicht mehr im Scheren der Schafwolle, sondern im Willkommen heißen und Einquartieren von Urlaubern - Tourismus ist das Zauberwort. Gleich in der Nachbarschaft vom Lago General Carrera unweit von Playa Guadal befindet sich die Hazienda Tres Lagos. "Vor 20 Jahren kam ich hierher und baute am Ufer direkt am Lago Negro die ersten drei Urlauber-Bungalows", erinnert sich der heute 58jährige Ricardo Navarrete. Er hat von der Pike auf in der Tourismus-Branche gearbeitet, auch in Europa, allein zehn Jahre in Wien. Jetzt ist er Miteigentümer des Landgutes, auf dem neben dem Haupthaus insgesamt 28 modern eingerichtete Appartements in modernen Lodges die Gäste aus aller Welt erwarten. Der Landeigentümer und Hotelier Ricardo kommt über sein Patagonien schnell ins Schwärmen. "Sieht es bei uns nicht so aus wie in Schweiz und Österreich?" fragt er mit Augenzwinkern, um gleich hinzuzufügen, dass es hier weniger regnet und häufiger die Sonne scheint. Denn zwischen dem Pazifik und Patagonien liegen die Anden wie ein Schutzschild. Außerdem ist hier im Sommer der Urlaubstag mit Tageslicht von 6 Uhr bis 23 Uhr länger. Wo gibt es das schon auf der Welt? Der nächste Flughafen liegt zwar 290 Kilometer entfernt in dem Provinzstädtchen Coyhaique, aber das sei nicht nur ein Nachteil. "Hier mitten in der Natur, weit genug von den großen Flughäfen Puerto Montt und Santiago de Chile entfernt, können die Gäste ungestört auf Zeit ein neues Lebens-Gefühl entwickeln," so der Hazienda-Besitzer.

Gauchos heißen Ovejeros

Auf einen kleinen Rundgang durch das Resort zeigt mir Ricardo am Ufer vom See Negro zwei schwimmende Ferien-Häuser. Sie sind noch im Rohbau und sollen in der laufenden Saison eröffnet werden. Auf dem Weg kommt uns ein Reiter entgegen. Arcel ist im Resort als Ovejeros angestellt, so heißen die Gauchos in Chile. Er kümmert sich um die kleine Schafherde und um ein Dutzend Kühe und Pferde, aber auch um das übrige Vieh einschließlich Hühner. Er hackt das Holz für die Kamine und bestellt ein paar kleine Felder mit etwas Gemüse und Kartoffeln - alles für die Gäste. Doch die Tracht von Arcel hat mit dem Erscheinungsbild eines Bauern und Hausmeisters wenig zu tun. Er hat ein Poncho übergeworfen, auf dem Kopf sitzt eine Reiterkappe und er trägt fast kniehohe hellgelbe Lederstiefel, die mit Mustern versehen sind und natürlich Sporen. Am Sattelknauf hängt das schlichte Lasso, eine Reitpeitsche und eine Unterarm lange Machete. Ein wenig will er den Touristen schon etwas von dem Bild vermitteln, was sie aus der Werbung kennen, des freien, knallharten Gaucho in den Weiten von Patagonien. Und natürlich will er den Touristen Reit-Unterricht geben und mit ihnen Wanderungen zu Pferde unternehmen. Weitere Informationen sind unter haciendatreslagos.cl zu finden.

Labyrinthe der Marmorhöhlen

Und hier hält Patagonien auch grandiose Sehenswürdigkeiten bereit. Nur eine knappe Autostunden vom Resort Tres Lagos entfernt, liegen die berühmten Marmorhöhlen Patagoniens. Über tausende von Jahren hat das Wasser des Lago General Carrera Labyrinthe aus grauen, blauen, rosa- und türkisfarbenen Tunneln und Bögen aus einem durch den See führenden Marmorrücken ausgewaschen. Das Gestein in einer Vielzahl von kleinen und größeren Höhlen, die nur mit Booten von der Wasserseite erreichbar sind, ist bizarr geformt. Es vermittelt mitunter den Eindruck, ein Designer hätte Hand angelegt.

Straße durch den Urwald

Der Weg in den Süden führt auch durch den Valdivia-Urwald, den zweitgrößten Regenwald, der außerhalb der Tropen liegt und durch feuchtes, kühles Klima der Westanden in Chile geprägt ist. Der größte Teil wurde bereits in der Vergangenheit durch die Holzindustrie zerstört. Die kahl geschlagenen Flächen wurden und werden mit schnell wachsenden fremdländischen Baumarten aufgeforstet, was eine zusätzliche Belastung für das ökologische Gleichgewicht darstellt.

Pampa - die Heimat der Winde

Nach Schnee bedeckten Bergzügen und tief blauen Seen, nach Vulkanlandschaften und dichtem grünen Regenwald wird die berühmte Ruta 40 in Argentinien auf dem Weg nach Süden nun durch die patagonische Steppe gesäumt. Wild und endlos erstreckt sich die steppenartige Hochebene bis zum Horizont. Die Pampa zeigt sich als ein welliger, uferloser Ozean aus Gräsern mit einem immerwährenden starken Wind, der ständig sich neu formierende Wolkenbilder heranschiebt. Doch die Pampa erscheint dem Betrachter nur auf den ersten Blick öde. Es sollen hier mehr als 500 Pflanzenarten wachsen. Die Tankstelle in Bajo Caracoles auf der Straße wird zu einer Oase. Die nächste Tankstelle in El Chalten ist mehr als 350 Kilometer entfernt. Diese argentinische Region liegt im Regenschatten der Anden und ist sehr trocken.

Naturwunder in den Nationalparks

In diese typische Steppenlandschaft in Patagonien werden durch zwei international bekannte Nationalparks Ausrufezeichen gesetzt. Da ist der chilenische Nationalpark Torres del Paine - ein einziges Naturwunder mit seinen Wäldern, Seen und Bergen und einer vielfältigen Tierwelt. Guanakos, Nandus und der elegant kreisende Kondor sind von den Besuchern mühelos zu beobachen. Das Wahrzeichen des Parks sind drei nadelartige Granitberge, die in der Mitte des Parks liegen. Mit ihrer Höhe von fast 3.000 Metern sind sie weit sichtbar.

Der Nationalpark Los Glaciares auf argentinischer Seite fügt ein weiteres Kapitel in die wechselvolle Landschaft von Patagonien ein. Es ist der Park der Gletscher. Im Westen der chilenischen Südspitze Patagoniens liegt das chilenische Inlandeis, die größte zusammenhängende Eismasse außerhalb der beiden Pole und Grönlands. Hier beginnt Gletscher-Land. Einer der berühmtesten ist der Gletscher, der nach dem argentinischen Geographen Perito-Moreno benannt ist.

Wandern auf dem Gletscher

Für Touristen besonders attraktiv ist die Wanderung auf dem Perito-Moreno Gletscher. In einer vierstündigen Mini-Trekking Tour bringt zunächst ein Schiff die Touristen bis an den Rand des Gletschers. Je eine Gruppe von 20 Personen - die Altersgrenzen für die Teilnehmer liegen bei zehn und 65 Jahren - wird mit Steigeisen ausgerüstet. Und los geht es. Das Eis des Gletschers ist nicht zu fest, der Pfad ausgetreten. Teilweise ist das Eis geschmolzen und schmale Rinnsale sorgen für einen matschigen Weg. Es geht hoch und runter, vorbei an Spalten, teilweise mit blau schimmerndem Wasser gefüllt. Einige haben eine Tiefe bis 200 Meter. Zum Abschluss der Tour gibt es traditionell auf dem Gletscher einen argentinischen Whisky - natürlich mit Eis vom Gletscher.

Am Ende der Welt

Weiter unterwegs zur Südspitze von Patagonien und Südamerika - nachdem 5.000 Kilometer Strecke im Pick up von Puerto Montt zurück gelegt waren - erreicht man die Straße nach Puerto Natales mit dem ungewöhnlichen Namen "Routa del fin del Mundo" - Straße am Ende der Welt. Doch das Finale der Auto-Tour durch Patagonien ist erst in der am südlichsten gelegenen Stadt der Welt in Ushuaia eingeläutet. Dazu begibt man sich in das französische Restaurant Chez Manu auf dem Hausberg der Stadt und trinkt einen Rotwein aus Patagonien, der Marke: "del fin del Mundo".

Text und Fotos von Ronald Keusch

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