Stippvisite in der argentinischen Metropole

Ein Stadtbummel durch Buenos Aires sollte, so wird von den Kennern Argentiniens empfohlen, im Herzen der Stadt auf der Plaza de Mayo beginnen.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Unter hohen Palmen, die auf dem Platz verteilt sind, kann der Besucher in die stürmische Geschichte dieses Ortes eintauchen. Evita Perons Auftrittsbühne

Da erhebt sich würdevoll das weißgetünchte Rathaus Cabildo, eines der letzten übrig gebliebenen und mehrfach umgebauten Gebäude aus spanischen Kolonialzeiten. Heute ist dieses kulturelle Erbe ein Wallfahrtsort für Touristen und Schulklassen. An der Stirnseite des Platzes residiert das rosafarbene Regierungsgebäude Casa Rosada. Auf dem Grundstück soll das erste Haus der Stadtgründung von Buenos Aires im Jahr 1580 gestanden haben. Der Balkon diente viele Jahre der populären Evita Peron als Auftrittsbühne vor den Volksmassen. Casa Rosada wird von Grenadieren in schicken Uniformen aus blauem und rotem Stoff bewacht, die sehr bürgernah auch mal Besucher durch den Regierungssitz führen und sich als Fotoobjekt anbieten. Doch die Plaza de Maya ist keineswegs die Feierstätte einer "heilen Bilderbuch-Welt". Der Mai-Platz erhielt seinen Namen zu Ehren der Mai-Revolutionen im Jahr 1810, als Argentinien die Unabhängigkeit erkämpfte. Auf dem Platz findet sich auch eine Gedenkstätte für die Opfer des Falkland-Krieges des Jahres 1982, den argentinische Generäle vom Zaun gebrochen haben und der 649 jungen Soldaten aus Argentinien das Leben kostete.

Mütter gegen das Vergessen

Und dieser Platz wurde weltweit bekannt durch den Protest der argentinischen Frauen gegen das Militärregime unter Videla in den Jahren 1976 bis 1983. Sie klagten die Regierung öffentlich an, ihre Familienangehörigen entführt und ermordet zu haben. Das Symbol ihres mutigen Widerstandes, geknüpfte weiße Kopftücher, die hier auf den Boden des Platzes gemalt wurden, erinnern heute im Zentrum der Hauptstadt an diese politische Aktion "Mütter gegen das Vergessen". Auch in der Gegenwart zeugen an einer Seite des Platzes weiß blaue Argentinien-Fähnchen und eine Flut von Transparenten mit Losungen davon, dass der politische Kampf weiter geführt wird.

Drei Ikonen Argentiniens

Weiter geht die City-Tour auf dem breiten repräsentativen Boulevard der Avenida de Mayo. Im bunten Wechsel von gut bürgerlichen Wohnhäusern und traditionellen Kaffee-Häusern hängt in einem der Geschäfte ein zusammengesetztes Poster aus drei einzelnen Porträt-Bildern. Sie zeigen seit an seit den berühmten Tango-Sänger und -Komponisten Carlos Gardel, die freundlich und mildtätig blickende Evita Peron, die Präsidentengattin aus dem einfachen Volk und den lächelnden Revolutionär Che Guevara, den Revolutionär und Guerillaführer - drei Ikonen des Landes, die ein Stück des Lebensgefühls der Argentinier verkörpern.

Auch in den Kaffee-Stuben auf der Avenida de Mayo hat Tango-König Gardel Hof gehalten. So gedenkt das berühmte Cafe Tortoni, vor dem in einer ständigen Schlange geduldig Touristen wie Einheimische auf Einlass warten, der Tango-Stimme Argentiniens mit Bildern, Figuren und sogar in einem separaten kleinen Raum.

Kontrast zwischen arm und reich

Am Ende des Prachtboulevards ist die Plaza Moreno und die Plaza del Congreso erreicht. Hier steht ein Denkmal von Rodin und die Skulptur des Kopfes von einem Abgeordneten mit einem riesigen Gaucho-Hut. Selbst inmitten der Innenstadt drängt sich die bittere soziale Realität ins Bild. Gleich neben dem Denkmal hausen Obdachlose, die die kümmerlichen Reste ihres Hausrats unter hohen Bäumen verteilt haben. Schaut man sich nun genauer um auf dem weitläufigen Platz, haben sich überall auf Rasenfläche und Bänken - so wie es den Anschein hat - obdachlose Menschen niedergelassen. Der Kontrast zwischen arm und reich in Buenos Aires wirkt hier zwischen Touristen und der Großstadt-Hektik von Angestellten in dunklen Maßanzügen im Bankenviertel besonders schrill. Und in die angrenzenden Geschäftsstraßen ergießt sich ein Strom von Passanten, die es alle, jeder dritte Passant mit einem Handy am Ohr, unheimlich eilig haben - wie in jeder großen Metropole.

Schicke Hafencity Puerto Madero

Es gibt viele vorzeigbare Beispiele, wie Großstädte ihre veralteten Hafenanlagen in meist verfallenen Vierteln wieder aufmöbelten. In Europa zählen dazu die neuen schicken Quartiere in London oder Lissabon. Puerto Madero in Buenos Aires gehört auch dazu. Den Hafen mit seinen Docks und Hafenbecken ließ Eduardo Madero erst Ende des 19. Jahrhunderts erbauen. Seit nunmehr 20 Jahren wurden die stillgelegten Speicher wieder zum Leben erweckt. Bars und Restaurants säumen die Flaniermeilen am Hafenbecken, an denen ein großer Dreimaster, ein Museumsschiff und viele Jachten und Jollen vor Anker liegen. Hier sind auch ein halbes Dutzend der legendären Steak-Häuser zu finden. Sie liegen friedlich nebeneinander und treten tagtäglich den Beweis an, das es in Argentinien das beste gegrillte Rindfleisch gibt.

Fünf Tage kostenloses Quartier für Einwanderer

Hier im Hafenviertel ist gleich neben dem Fährgebäude für die Schifffahrts-Linien nach Montevideo in Uruguay auch ein interessantes Museum die Einwanderung in Argentinien eingerichtet. Das Hotel de Inmigrantes konnte bis zu 4.000 Einwanderer aufnehmen. Es bot den damals unschätzbaren Vorzug, die ankommenden Menschen insgesamt fünf Tage kostenlos unterzubringen. In das Einwanderungsland Argentinien kamen von 1895 bis 1946, also in rund 50 Jahren (!) etwa 3,5 Millionen Menschen. Vergleiche und Fragen zur heutigen Situation der Migranten, die unkontrolliert nach Europa strömen, sollten durchaus von jedermann gestellt werden.

Naturreservat am Rio de la Plata

Bei einem Spaziergang an der alten Uferpromenade, kann sich der Besucher nur schwer vorstellen, dass hier vor hundert Jahren noch ein Badestrand existierte. Mittlerweile hat sich das Wasser vom mächtigen Rio de la Plata fast ganz zurück gezogen und es existiert dort nur noch eine Lagune. Dennoch ist hier das "Strandleben" geblieben mit unzähligen kleinen Imbiss-Buden, die überall ihre Tische und Stühle aufstellen.

Von der Promenade führt der Weg direkt in das recht weitläufige Naturreservat "Reserva Ecologica", das auf der Lagune des Rio de la Plata eingerichtet wurde. Auf den Wegen zwischen Hibiskus, Palmen und Ödland sind Jogger und Radfahrer, Touristen und jede Menge Vögel unterwegs, ohne sich zu stören. Zurück auf der Promenade erinnert ein modernes Denkmal von einem Bandoneon daran, dass jeder Besucher in der Hauptstadt des Tangos diesem Tanz seine Aufwartung machen sollte.

Authentischer Tango-Abend

Vieles dreht sich in Buenos Aires um den Tango. In allen Stadtvierteln der acht Millionen Stadt gibt es unzählige Veranstaltungen für Tango-Tänzer, jede Menge Tanz-Kurse und dann natürlich die Tango Tanz-Shows. Im Stadtteil San Telmo ist eines der ältesten Tango-Theater der Stadt eingerichtet. Hier gründete der renommierte argentinische Tango-Sänger Edmundo Rivero 1969 das weltweit bekannte Theater El Viejo Almacen. Das kleine Gebäude im Kolonialstil aus dem 18. Jahrhundert liefert den atmosphärischen Rahmen für authentische Tango-Abende mit einer kleinen Bühne und einem intimen Zuschauerraum. Im Abendprogramm treten ein sechsköpfiges Orchester, vier Tanz-Paare sowie zwei Sänger auf, die den traditionellen Tango und die Milongo-Tänze zelebrieren. Ein Höhepunkt ist der Auftritt einer Folklore-Gruppe aus dem Norden von Argentinien mit ihren Volksliedern. Wenn die Musiker dann ihre weit gespannte Version von "El Condor Pasa" voller Inbrunst intonieren, dann scheint es tatsächlich so, dass die Zuschauer den Condor im Vorbeiflug beobachten.

An einigen Stellen sind auf dem Trottoir in den Häuserschluchten von Buenos Aires die Tanzschritte des Tangos auf die Gehweg-Platten gepinselt. Wenn dann der Großstadt-Lärm kurzzeitig inne hält, kann man sogar auf der Straße etwas von der melancholische Musik erahnen. Und das Theater El Viejo Almacen hat seinen Zuschauern beigebracht: "Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzt".

Text und Fotos von Ronald Keusch

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