Die große "Mallorca-Sause" ist noch nicht in Sicht. Für Naturliebhaber aber, die auf der Suche nach Ruhe und Beschaulichkeit sind, ist die "Noch-Ausnahmesituation" eine einzigartige Gelegenheit.
Im toten Winkel der Landstraße
Die touristenfreie Kleinstadt Sant Joan liegt im Bermudadreieck zwischen der Orte Sineu, Montuïri und Vilafranca de Bonany. Mit anderen Worten: im toten Winkel der Landstraße. Wikipedia erwähnt gerade mal ein "paar Kirchlein und ihre Ausgestaltung". Und natürlich den Ackerbau, die Viehzucht und die Erzeugung der typischen Wurst Botifarrón.Vor 100 Jahren beschrieb Erzherzog Ludwig Salvator in seinem Werk die "Balearen in Wort und Bild" den Ort mit bescheidenen Worten.
Einförmig, eng und grau die Gassen, einstöckige Häuser mit kaum 500 Einwohnern. Der karge Charakter blieb erhalten. Im Kontrast zur überbordenden touristischen Inselentwicklung hat Sant Joan durchaus einen herben Charme. Und eine beruhigende Komponente. Geographisch gesehen liegt das Dorf "im toten Winkel der Landstraße" exakt in der Mitte Mallorcas. Es markiert den Nabel der Insel. Auf der Suche nach einem Restaurant kann man wählen zwischen dem mit dem Sonnenschirm am Dorfplatz und dem "Zweigeteilten" Außencafe auf dem höchsten Punkt der Dorfstraße. Ein 20 km-Schild am Straßenrand wirkt wie eine Bitte, die andauernd von einer zur anderen Straßenseite (je nach Sonnen und Schattenbedarf) wechselnde Kellnerin nicht zu gefährden. Der Reiz der Landschaft liegt in der üppigen Pflanzenwelt, in den noch kleinteiligen bäuerlichen Orangen-, Zitronen-, Feigen-, Granatäpfel- und Pfirsichfeldern, die hinter den aus Naturstein aufgeschichteten Mauern, wachsen. Aus den Mauerritzen und Felsspalten der sogenannten Tanques sprießen Zwergpalmen, wuchern Ginster, Rosmarin und Thymian um die Wette. Meterhohe Feigenkaktusse gedeihen vor den Gartenzäunen, die roten Mohnblumen blühen dunkelroter als die in der Schorfheide. Und unerklärlich, Obwohl schon alle Orangenbäume Früchte tragen, erfüllt ein satter Blütenduft die Luft.
Grüne Weite bis zum Horizont
In der Edel-Finca Gossabala San Joan, inmitten von 4.000 jungen Olivenbäumen, hat Corona seine Stacheln verloren. Hier ist zuhause, wer sich absolute Ruhe wünscht. Eine Ruhe, die nur unterbrochen wird vom Krähen eines Hahnes. Oder dem vorlauten Ruf eines Esels. Sieben herrschaftliche Zimmer hat die Finca Gossabala San Joan. Das uralte steinerne Gesicht des ehemaligen Gutshauses ist sorgsam restauriert und wurde bis ins kleinste Detail sorgsam gewahrt. Der puristische Charakter spiegelt sich in jedem Terrakotta-Topf, in jeder Kaktuspflanze wieder. Die abgestuften Töne der Lehmfarben sind unverändert. Selbst der Swimmingpool hat das Originalformat des früheren Wasservorratsbeckens. Madam Katy die Seele des Hauses. Aufmerksam gleichzeitig zurückhaltend umsorgt sie ihre Gäste. Man spürt, dass man hier gut aufgehoben ist. Ein schönes Gefühl in der "Noch-Pandemie".
Puerto de Pollenca
Im Norden, am schönen Strand von Pollenca, hat der erste Bademeister am 2. Mai seinen Aussichtsturm bestiegen. Es schwimmt zwar noch keiner im Meer, aber die Spaziergänger lassen sich die auslaufenden Wellen um die nackten Füße plätschern. Die Spitzen der Bastsonnenschirme flattern im Wind. Ein dutzend Badegäste mit einer Bräune, als hätten sie schon seit Februar die Sonne genossen, bevölkern die Liegen. Baulärm scheint die Sonnenbader nicht zu stören. Die Freude an der neuen Freiheit überwiegt.
Eiscafés haben ihre Glaswände aufgeschoben. Die bunten Eissorten sind verlockend aufgereiht. Die Cafes in der vordersten Reihe freuen sich über die ersten Gäste. Doch Vorsicht! Es gibt noch ein "Aber"! Von 18.00 - 20.00 Uhr muss geschlossen werden. Um schon 17.45 Uhr fahren die ersten Polizeiautos durch die Straßen. Es gibt es keine Ausnahme. Wer eine Toilette benötigt, muss die zwei Stunden bis 20 Uhr warten. Oder er findet eine nette Eisverkäuferin, die, so jedenfalls ging es mir, mich noch um 18.05 Uhr durch die Hintertür zieht. Ab 20.00 Uhr öffneten einzelne Restaurant, und dürfen ihre Gäste bis 22.00 Uhr bewirten. Aber wer sind die Gäste? Wahrscheinlich Zweitwohnungsbesitzer, die ihren Herd noch nicht anmachen wollen. Keines der großen Hotels hatte Anfang Mai geöffnet. Weder in der Alcudia noch in der Pollencabucht. Nur kleine Hotels mit ein paar wenigen Zimmern hatten die Erlaubnis zum Öffnen. Die Masken-Disziplin war überall auf Mallorca hervorragend. Nur im Sand am Strand war oben ohne erlaubt. Am Parkplatz von Cap Formentor erklärte eine Touristin, sie hätte einen Menschen ohne Maske auf der Aussichtsterrasse an der äußersten Felsspitze gesehen. Worauf sich ein schwer beleibter Polizist mit stichfester Weste schwitzend auf den steilen Weg hinauf machte. Aber keinen fand, den er hätte bestrafen können.
Der historische Stadtkern von Pollenca
Nur einige Kilometer vom Stadtkern entfernt liegt das historische Zentrum von Pollensa. Die ältesten Spuren führen auf die Talaiot-Kultur vor 3.000 Jahren zurück. Von den Römern stammen zahlreiche Ausgrabungsreste. Die alte Brücke El Pont Romà überquert den Torrent de Sant Jordi, der von den Römern angelegt wurde, um die Stadt mit Wasser zu versorgen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts entdeckte eine Gruppe von Künstlern, Schriftstellern und Musikern die inspirierende Schönheit der Gegend und ließ sich hier nieder. 300 Meter links vom Fuße der 365 Treppenstufen auf den El Calvari, befindet sich der im 17. Jahrhundert erbaute Stadtpalast Son Sant Jordi. Heute ist es ein familiengeführtes kleines Boutiquehotel. Sein Geheimnis ist die verzauberte Atmosphäre des hinter verborgene Mauern liegenden Gartens.
Die in Rundform geschnittenen Orangenbäume sind zweihundert Jahre alt sein. Die Marmelade dieser Orangen ist nicht mit dem Aroma von heutigen Bio-Orangen vergleichbar. Die Olivenbäume dürften kaum jünger sein. Und die englischen Teerosen rund um den Pool sind die Lieblinge des Gärtners. Die Frühstückstische sind intim verteilt. Eine fast ungestörte individuelle Atmosphäre. Nur Petra, der türkisblau/gelb leuchtende Papagei, der Sätze in vier Sprachen spricht, hält sich nicht zurück. Er braucht seinen Auftritt, die Aufmerksamkeit der Gäste. Auch die Schulkinder aus dem angrenzenden Gebäude haben Spaß daran, von der Dachterrasse herab im Chor zu rufen: "Dónde está la tortuga". Sie möchten die brotleibgroße Schildkröte sehen, die von Zeit zu Zeit bedächtig aus dem Goldfischbecken steigt.
Abgelegen ist nicht mehr ungelegen
Corona hat eine Reihe von Veränderungen bewirkt, die man sich so nicht vorstellen konnte. Fincas in den entlegensten Regionen sind ab Mai ausgebucht. Diese "Schnellerholung" verdanken sie dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis, und dem Umstand, dass die großen Hotels geschlossen sind. Viele von ihnen werden auch in der späteren Saison nicht mehr öffnen. Das kommt dem immens gestiegenen Fahrradtourismus entgegen, dem die verwinkelten Landsträßchen von Mallorca einen besonderen Anreiz bieten. Und nicht zuletzt trägt der Bio-Trend den nicht zu übersehenden Aufschwung. Die Finca Cases de Son Barbassa ist den Golfern des Capedera-Golfclubs wohlbekannt. Bis vor kurzem hätte man sie mit einem Interieur- Designerpreis in Verbindung gebracht, und die Eleganz weit nach oben gelobt. Aber siehe da, die Direktorin Christina begleitet mich nach einem kurzen Rundgang durch die historischen Gewölbe in den Gemüsegarten, der Fünfsternegleich perfekt beackert wird. Mit ausladender Handbewegung erklärt sie: "Jeder Salat und alles Gemüse kommt aus eigenem Anbau. Und unsere Eier von unseren Hühnern, möchten Sie sehen?" Auf dem Rückweg vom Swimmingpool, der umgeben ist von weißen Doppelliegen mit wehenden weißen Vorhängen, ein faszinierendes Bild, kommt sie auf die weißen Blüten der 300 Mandelbäumen zu sprechen, die im Abblühen Schneeflocken ähneln. "Manche Bäume sind sehr alt. Einige standen schon, da war das Haus noch nicht gebaut. Wir setzen jährlich neue hinzu, weil sie nicht nur der landwirtschaftlichen Nutzung dienen, sondern ein ganz eigener Bestandteil unserer Naturlandschaft sind." Von all den kulinarischen Feinheiten, die sie nannte, blieb mir vor allem der maroquinische Mandelkuchen im Gedächtnis. Und die überraschende Tatsache, dass selbst zum Tintenfisch eine pikante Mandel-Sauce serviert wird.
Text und Fotos von Veronika Zickendraht und einem Foto von Cases de Son Barbassa