Im Flieger war das, einem 34-Sitzer der Air Rarotonga auf der Strecke von Atiu zurück zur Hauptinsel der Cook Islands. Die Maschine proppevoll, große Gepäckstücke auch im Gang, neben mir ein Dreizentner-Mann, der förmlich in meinen Sitz rüberquoll. Erste Anzeichen von Unwohlsein - zu voll, zu eng. Na gut, schaust Du halt raus, draußen ist die Weite des Meers und ... nee, denkste. Ganz plötzlich waren wir in Schlechtwetter geraten, Regen knallte gegen die Scheiben, ich sah nichts. Und das war der Urknall einer Angststörung, die mich länger als zehn Jahre beschäftigt hat. Ich hatte eine Panikattacke, wollte schreien: ANHALTEN, Schweißausbruch, Zittern, das ganze Menü. Geistesgegenwärtig bat ich meinen Sitznachbarn, mit mir zu reden - nur Ablenken, dachte ich. Und der hatte nach einem Blick in meine Augen begriffen, was zu tun war und erzählte mir ohne Pause seine kompletten Familienverhältnisse. Der Flug dauerte 45 Minuten, er hatte bei der Landung noch nicht die Ebene seiner Nichten und Neffen erreicht. Ich war ihm dankbar, hatte mich ein wenig beruhigt. Eine Freundin holte mich am Flughafen Rarotonga ab, eine schweizer Künstlerin, die dort lebte. Auch nach dem Flug war ich also ausreichend abgelenkt. Mit ihr (sie war Therapie-erfahren) ging ich durch, welchen Grund es geben könnte, dass mein Körper neuerdings diese Panik braucht - in diesem Stadium schon eine recht fortgeschrittene Frage. Ohne Befund. Ich hatte in der Südsee angefangen, mich mit Schamanismus und Animismus zu beschäftigen, dem Glauben, dass alle Dinge auf der Erde eine Seele haben, ich hatte einen Roman darüber begonnen und mir Personen mit magischen Kräften ausgedacht - vielleicht wollten sich die realen Leute rächen? Spuck nicht in unsere Suppe? Schmarrn.
Egal, warum, ich konnte fortan auch große Flieger nur unter geschickt getimten Drogen betreten, Fahrstühle und enge Räume gar nicht. Und leider kann man sich in vielen Hotels dieser Welt nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die liebend gern die Nottreppe in den zwölften Stock benutzen. Die aber leider oft versperrt oder gerade baufällig ist. Manches Hotel hat sogar für die Buchung eines Parterre-Zimmers mehr genommen. Dank der Psychotherapie-Ambulanz der TU Braunschweig bin ich wieder der Alte - naja fast. Meisterprüfung: Andreaskirchturm und Fahrstuhl im Ring-Center. Meiner Therapeutin schicke ich immer wieder Bilder von brenzligen Situationen in aller Welt, in denen ich ohne Betriebsstörung war. Anbei die jüngste vom Wasserfall des blauen Nils in Äthiopien.
Andreas Döring, langjähriger Redakteur im NDR Studio Braunschweig, arbeitet als freier Autor im Bereich Reisen und Literatur. Er hat in Windhoek, Namibia, bei 30 Grad im Schatten die Weihnachtssendungen für das deutschsprachige Radioprogramm produziert, in Sambia Dorfschulkinder unterrichtet und ist als Literaturlektor auf Expeditionsschiffen durch Mittelmeer, Karibik und Südsee gefahren. Seine Reisenotizen hat er für uns zu kleinen Geschichten verarbeitet. Döring wurde mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnet, hatte bis 2020 einen Lehrauftrag für Kultur- und Reisejournalismus an der Faber-Castell Akademie und ist in Lesungen auf englisch und deutsch zu hören.
Text und Foto von Andreas Döring