St. Petersburg: Der Mann, der goldene Eier "legte"

Jeden Tag das gleiche Lärmstück. Punkt zwölf, auf die Minute genau, gibt die große Kanone der Peter-Pauls-Festung einen Schuss ab.
Foto von Bernd Siegmund
Foto von Bernd Siegmund

High noon in Sankt Petersburg.

Brüllend fegt der Schall auf die Stadt zu, knallt gegen die ersten Häuser, wird in tausende Stücke zerrissen und lässt sich schließlich vom irdischen Verkehrslärm der großen Stadt fressen.

"Admiralsstunde" nennen die Petersburger dieses kriegerische Zeitzeichen. Angeblich diente der Schuss zur Zarenzeit dem Festungskommandanten, einem Admiral, als willkommenes Signal, sich genüsslich hundert Gramm Wodka vor dem Essen zu genehmigen. Diese und andere nette Geschichtchen über den hochprozentigen Freund der Russen erfährt man im Wodka-Museum von Sankt Petersburg. Zu finden ist dieses unterhaltsame Institut auf dem Konnogwardejski Boulevard Nr. 4. Hier wurde zusammengetragen, was die Welt schon immer über der Russen liebstes Wässerchen wissen wollte. Angeblich waren es fromme Mönche, die einen aus Wein gebrannten Schnaps von Konstantinopel ins Zarenreich schleppten. Das anfangs als Heilmittel getrunkene Wunder-Wasser stieß sofort auf begeisterte Kehlen. Da es in Russland keine Weintrauben gab, tat man Roggen ins Destilliergerät. 1478 führte Zar Iwan III. (1440 - 1505) das Staatsmonopol auf die Herstellung von "Brotwein" ein. 1903 gab es allein in Sankt Petersburg 40 Wodka-Brennereien. Und alle hatten gut zu tun.

So ist es bis heute geblieben. Sämtliche Versuche, die zur Volkskrankheit ausufernde Wodka-Lust einzudämmen, scheiterten. Ein erstes Verbot 1914 hob Stalin zehn Jahre später auf. Auch die "trockene" Politik des Alkoholverächters Gorbatschow wurde mit Einfallsreichtum unterlaufen. Man brannte sich den Schnaps einfach zuhause. Ein Gummihandschuh, über die Brennapparatur gestülpt, signalisierte den Erfolg. Hatte sich der aufgeblasen, war der Wodka fertig. Weil die Konstruktion wie eine winkende Hand aussah, hieß der Selbstgebrannte im Volksmund "Gruß an Gorbatschow".

Das Kunstwerk St. Petersburg, die Kopfgeburt Peter des Ersten, steckt voller kleiner und großer Sehenswürdigkeiten. Die meisten der durch den Krieg schwer beschädigten baulichen Kunstwerke sind längst mustergültig restauriert. In alter Pracht erstanden ist der Peterhof, berühmt vor allem wegen seiner schönen Brunnen. Einzigartig auch das Katharinen-Palais in Puschkin, dem ehemaligen Zarskoje Sjelo. Hier verbrachte die Zarenfamilie die Sommer. Zu den prunkvollsten Räumen zählte das weltberühmte, vielleicht auf Ewig verschwundene, inzwischen mit Akribie nachgestaltete Bernsteinzimmer. Seit 2013 gibt es sogar das erste Privat-Museum in der Stadt. Es ist dem Juwelier Fabergé gewidmet. Seine edlen, reizvollen Kleinodien waren in Gold und Edelsteine gefasste Liebeserklärungen, die Mann seiner Freundin schenkte. Präsentiert wird die Arbeit des Goldschmieds im noblen Schuwalow-Palais am Ufer des Fontanka. In der alten Stadtvilla sind etwa 4.000 Kunstwerke von Weltrang zu sehen. Darunter Juweliererzeugnisse, Gemälde und Ikonen. Den Höhepunkt bilden die neun Fabergé-Eier, die der Juwelier für die Zarenfamilie gefertigt hatte. Den Grundstock für diese einmalige Sammlung erwarb der russische Oligarch Viktor Wechselsberg 2004 bei einer Sotheby-Auktion. Die "Ostereier" kosteten ihn rund 100 Millionen Dollar.

Unweit des Museums verläuft Sankt Petersburgs berühmteste Straße, der Newski-Prospekt. Gleich zu Beginn des Boulevars, hinter der Admiralität, rücken die Häuserzeilen bis auf 25 Meter zusammen. Hier ist die alte City mit ihren Banken und Geschäften schmal wie ein Fluss an seiner Quelle. Das ändert sich, je tiefer die Straße in das Weichbild der Stadt eindringt. Zwischen der Nadel der Admiralität und dem Alexander-Newski-Kloster am Ende der fast 5 km langen Straße geht es zu, wie auf den Seiten eines eleganten Bildbandes. Fein herausgeputzte Damen flanieren zwischen den historischen Edelfassaden, junge, dynamische Männer, denen man die erste Dollarmillion ansieht, fahren ihren ausländischen Schlitten spazieren. Sankt Petersburg ist wieder Russlands "Fenster zum Westen".

Vor dem Gostiny Dwor, dem großen Warenhaus auf dem Newski, bieten Monarchisten Bilder des letzten Zaren an, Straßenmusikanten singen traurige Balladen und junge Dichter rezitieren mit Herzblut ihre Werke. Mehr als alle anderen Gestalten passen sie hierher. Der Newski ist die Heimat der Dichter. Hier ist der Ort, wo alle russischen Romane beginnen oder enden. Die erfundenen und die wirklichen. Meinte zumindest Egon Erwin Kisch nach einem Besuch im Literaten-Cafe auf dem Newski-Prospekt Nr. 18. Dostojewski und Gogol verkehrten hier, Alexander Puschkin zählte zu den Stammkunden. Das Café war der letzte Ort, an dem er lebend gesehen wurde. Am 27. Januar 1837 verließ Puschkin seine Wohnung "An der Moika 12", traf sich im Café mit seinem Sekundanten Dansas und gemeinsam gingen sie über das Eis zum Ort des Duells - an das Flüsschen Tschornaja. - Der Rest des Dramas ist bekannt. Einige Tage nach Puschkins Tod deklamierte Lermontow im Café das soeben verfasste Gedicht "Der Tod des Dichters". Heute verkehren im Café vor allem Studenten und Touristen. Die berühmten Gäste von einst haben sich ins Schattenreich zurückgezogen. Am Ende ihres geliebten Newski trifft man sie alle wieder: auf dem Friedhof des Alexander-Newski-Klosters.

Text und Fotos von Bernd Siegmund. Mehr Reise-Informationen gibt es bei russlandinfo.de

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