In den Tälern der Zipfelmützen

Kappadokien - die nur wenigen bekannte Landschaft in der Mitte von Anatolien.
Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Beim Aufstellen einer weltweiten Rangliste der spektakulärsten Wunder der Natur belegt ein kleines Gebiet im Herzen Anatoliens einen Platz ganz weit oben - Kappadokien. Es liegt mitten in der Türkei im Hochland, rund 700 Kilometer von Istanbul und etwa 500 Kilometer von der Mittelmeerküste in Antalya entfernt. Hier findet der Besucher die Wunderwelt einer einmaligen bizarren Landschaft. Den Grundstein dafür legten vor Jahrmillionen die Eruptionen von Vulkanen, die das Land mit einer Schicht aus Lava, Asche und Schlamm bedeckten. Der Auswurf der Vulkane bildete den Tuff, der von Wind und Wetter zu skurrilen Felsformationen und tief eingeschnittenen Tälern geformt wurde. Und in dieser entstandenen nahezu archaischen Landschaft haben bereits Menschen der Steinzeit mit Höhlenmalereien ihre Spuren hinterlassen. Auch in der Bronzezeit wurde der Rohbau der Natur aus Tuffstein für Behausungen genutzt und später in frühchristlichen Zentren Kirchen eingerichtet. Regen, Wind, Sonne und Flussläufe haben aus dem Tuffstein die ausgefallenen und spektakulären Denkmäler modelliert, unfassbare Anblicke auch für Vielreisende. Übrigens ist die Tuffkegel-Landschaft auf der Hochebene auf einem nicht so weitläufigen Raum wie geschaffen für Rundreise-Touristen, da sie in einer knappen Woche gut erkundet werden kann.

Göreme - der Touristen Hotspot


Blick auf den Ort Göreme


Feenkamine im Mönchstal

Die kleine Ortschaft Göreme mit etwa 2.000 Einwohnern liegt mitten im Zentrum des gleichnamigen Naturparks und fungiert gewissermaßen als kleine Hauptstadt von Kappadokien. Allerdings zeigt sich Göreme unübersehbar auch als das touristische Zentrum von Kappadokien. Im Jahr 2019 besuchten allein 1,4 Millionen Touristen das Freilichtmuseum von Göreme, ein Allzeit-Rekord. Kaum eines der alten Häuser ist nicht für den Tourismus fit gemacht worden. Der Besucher stößt auf eine geradezu überbordende Fülle an Shops und Verkaufsbuden, an Herbergen und Quartiere und unzähligen Souvenirläden, an Reise- und Ausflugs-Agenturen. Hier treffen sie alle zusammen, die Rucksack-Wanderer, Busreisende und Individualreisende mit Mietwagen. Viele Quartiere werben damit, dass den Gästen ein "cave-hotel" geboten wird, also ein Hotel mit Räumen in einer Tuffstein-Höhle. Wer dem bunten Treiben entfliehen will, findet in der Umgebung in kleinen Dörfern wie Ibrahimpasa ebenfalls gediegene Höhlenhotels. Viele der Räume sind ausgestattet mit einem Fenster, oft mit Aussicht auf die umliegenden Täler, und sie sind mit eigenem Bad einschließlich Dusche und Fußbodenheizung sehr komfortabel eingerichtet.

Unterirdische Kirchen im Freilichtmuseum


Freilichtmuseum Göreme


Wandmalerei in Höhlen-Kirchen


Wandmalerei in Höhlen-Kirchen

Die Tuffstein-Szenerie mit ihren Felskegeln ist an der Hauptstraße in Göreme kaum zu entdecken. Doch schon nach wenigen Metern außerhalb des Ortes oder auf dem Weg zur Aussichtsplattform oberhalb von Göreme wird der Besucher mit fantastischen Sichten belohnt. Ein Höhepunkt ist das Freilichtmuseum von Göreme. Vor mehr als 1.600 Jahren siedelten hier die ersten Christen und meißelten ihre Kirchen in den Tuffstein. Die Wände und Decken der Kapellen und Kirchen sind mit bunten Bildern prachtvoll geschmückt. Die Farben haben sich erstaunlich lange gehalten, nur einige Bilder wurden restauriert. Hier sind die schönsten und für Fachleute bedeutendsten Kirchen mit Wandbildern der byzantinischen Kunst zu finden. Dazu zählen die Barbara-Kirche mit ihrer einfachen Bemalung und die Dunkle Kirche, in der eine enge Treppe zu den Malereien dieser Kreuzkuppelkirche mit erstaunlicher Ausstrahlung führt. Nahezu überall ist Maskenpflicht und Fotografierverbot sowie ein Museumswächter vor Ort, um die Malerei zu schützen. Die größten Schäden allerdings bewirkte wohl nicht der Tourismus. Die Gesichter von Jesus und der abgebildeten Heiligen sind oftmals zerkratzt, gerade an den leicht zugänglichen Wänden. Dieser Vandalismus kommt hauptsächlich auf das Konto der abergläubischen muslimischen Bevölkerung des 19. Jahrhunderts, wie mir ein Museumsmitarbeiter erklärte. Dank der seit 1985 zum UNESCO Kulturwelterbe erhobenen Wunderwelt aus Tuffstein werden jetzt auch die phantastischen Kirchen-Malereien besser geschützt. Der Eintritt ins Freilichtmuseum kostet derzeit 100 türkische Lira, der Preis hat sich, wie viele andere Eintrittsgelder, in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Ein Kennzeichen für den Werte-Verfall der türkischen Währung, von der der Tourist bei den Urlaubskosten jedoch zumeist profitiert. Im Ort wird mir ein Parkzettel über 10 Lira an das Mietauto gesteckt, auch zum Erstaunen der türkischen Mitarbeiter des daneben liegenden Restaurants. Vermutlich hat ein findiger Geschäftsmann hier kurzzeitig eine private Parkzone als zusätzliche Einkommensquelle eingerichtet. Aber selbst die Höhe der Parkgebühr von umgerechnet 90 Cent ist unschlagbar kostengünstig für ausländische Urlauber.

Unsichtbare Städte über fünf Stockwerke


Wohnhöhlen in Derinkuyu


Wasser- und Luftschacht


Schwerer Rollstein verschließt den Zugang

Ein besonderes Abenteuer erwartet den Reisenden von Kappadokien in dem kleinen Städtchen mit Namen Derinkuyu auf Deutsch recht vielsagend "Tiefer Brunnen" oder "Tiefes Loch". Um sich vor Feinden zu schützen, bauten seine früheren Einwohner tief in die Erde eine zweite Stadt. Wann Derinkuyu gegründet wurde, ist umstritten. Manche Schätzungen gehen von einem Alter von bis zu 4.000 Jahren aus. Als sicher gilt jedoch, dass die Untergrund-Stadt in der heutigen Form zwischen dem 6. und 10. Jahrhundert von Christen geschaffen wurde, die hier Schutz vor mongolischen Invasoren suchten. Unvorstellbar, dass in den Höhlen einst bis zu 20.000 Menschen gelebt haben sollen. Die riesige unterirdische Anlage wurde erst Anfang der 60er Jahre entdeckt. Niemand hat geahnt, was für ein Schweizer Käse sich unter seinen Füßen verbarg. Obwohl schon viele Jahrzehnte lang aus Schächten Wasser geschöpft wurde. Auch die immer noch funktionierenden Lüftungsschlote wurden dann gefunden, die die Hohlräume mit Frischluft versorgen. Die riesige Anlage verfügt über fünf Stockwerke, die sich bis zu 85 Meter tief erstrecken. Der Abstieg in das geheimnisvolle Labyrinth auf teilweise recht schmalen Gängen mit Zwischenstationen in relativ großen Räumen immer weiter hinab - nichts für Besucher mit Platzangst. In den oberen Etagen waren Ställe für Vieh und Werkstätten eingerichtet. Darunter lagen Fluchträume, deren Zugang durch einen schweren Rollstein verschlossen werden konnte. Teilweise über Treppen und schmale niedrige Gänge tastet man sich abwärts, überall ein wenig beleuchtet durch kleine Lampen. Einer der großen Räume, so wird vermutet, soll früher als Kirche gedient haben. Der Rückweg war mühsamer, immer aufwärts kletternd in gebückter Haltung. Rote Pfeile zeigten den Abstiegskurs an, blaue Pfeile den Weg zurück nach oben. Ein recht anstrengender Aufstieg und kaum ein Trost, dass in weiteren unterirdischen Städten in der Gegend um die größere Stadt Nevsehir die Höhlengänge noch schmaler und niedriger ausgelegt sind.

Besichtigung eines Wohnfelsens in Trümmern


Verlassener Burgberg Cavusin


Weiße Tuffsteinfelsen bei Uchisar

In dem kleinen verschlafenen Örtchen Cavusin findet man zunächst neben dem obligatorischen Minarett nur Gebäude aus neuer Zeit, darunter auch Herbergen wie das neu eingerichtete Village Cave Hotel. Der Grund dafür ist in der Ortsmitte in der Altstadt neben dem Berg anzuschauen. Eine durch Erdbeben zerstörte Altstadt und ein evakuierter Wohnfelsen aus Tuffstein mit verlassenen Wohnungen. Während Reisebusse nur einen kurzen Foto-Stopp einlegen, führt der wirklich spannende Weg weit hinauf auf den Wohnhügel mit wieder einmal phantastischen Ausblicken in die Umgebung.


Wohnzimmer in der Bauernkate

Auf dem Rundweg zum Berg hinauf ist an einer der Bauernkaten das Schild "historical house" angebracht. Es ist die Einladung eines älteren weiß bärtigen Mannes, hereinzuspazieren in sein Bauernhaus, die mit bunten Teppichen ausgelegten privaten Räume zu besichtigen und auch einen kurzen Blick auf die vertrockneten Pflanzen im Haus-Garten zu werfen. Seine Frau, standesgemäß mit Kopftuch, hat in einem ihrer Wohnzimmer einen kleinen Verkaufsstand ausgebreitet mit sehr geschmackvollen Andenken, alles eigene Handarbeit, wie sie versichert.


Drei junge Türken mit Baby

Angekommen auf dem Dach-Plateau des zerstörten Wohnberges gibt es in allen Richtungen sensationelle Sichten auf die Tuffstein-Mützen der Umgebung. An einem windgeschützten Teil des felsigen Plateaus mit wunderbarer Panoramasicht sitzen drei junge Türken mit einem sieben Monate alten Baby auf einer Decke und machen ein Picknick. Nach kurzer Begrüßung beglückwünsche ich sie mit Gesten zu diesem sehr schönen Ort mit Aussicht, den sie sich ausgewählt haben. Daraufhin laden sie mich spontan zu ihrem Picknick ein und servieren mir ein Kuchen-Brötchen mit Käse, Tomaten, Nüssen und türkischem Tee. Obwohl wir unsere Sprachen nicht verstehen, verstehen wir uns und machen voneinander Fotos. Türkische Gastfreundschaft, die so in Deutschland nicht zu erleben ist.

Frühstück mit Aussicht


Blick aus der Hotel-Lobby


Sonnenplatz zum Frühstück

Man schaut sicherheitshalber noch einmal auf den Kalender. Es ist Ende Oktober. Auf der Terrasse meines Cave-Hotels einmal mehr Sonne zum Frühstück. Das opulente Frühstück wird auf einem Tablett auf den Tisch gestellt, Brot, Butter und Quark, Gurken und Tomatenscheiben, zwei Sorten Nüsse und Rosinen, zwei Sorten Oliven, mehrere Sorten Käse und Marmelade, zuzüglich einer Auswahl von Eiergerichten. An dieses für Deutsche ungewöhnliche und reichhaltige Frühstück hat man sich schon gewöhnt, als Bonus kommt hier noch die phänomenale Aussicht auf die Tuffstein Kegel hinzu, an denen man sich nicht genug satt sehen kann.


Das Mönchstal bei Zelve


Tuffstein Zipfelmützen


Verlassene Höhlenwohnungen

Die Ortschaft Zelve beherbergte einst eine der größten Ansiedlungen in Kappadokien. Heute ist sie eine Geisterstadt und ein Freilichtmuseum, in dem man einen ganzen Tag verbringen, in drei Tälern herum klettern sowie die Tuffstein-Quartiere, Kirchen, und Werkstätten wie z. B. eine Mühle besichtigen kann. Über hunderte von Jahren haben hier Menschen in ihren Höhlenwohnungen gelebt, aber in den 50er Jahren musste die Ortschaft evakuiert werden, da die Erosion des Gesteins zu weit fortgeschritten war. Die Bewohner zogen in ein fünf Kilometer entferntes neu errichtetes Dorf. Heute sind einige Abschnitte der Täler durch Felsstürze unpassierbar und einige der Höhlen und Tunnel sind für die Touristen wegen Einsturzgefahr nur noch aus der Ferne zu besichtigen. Befestigte Wege und Treppen führen durch das Gelände. Bis zuletzt lebten hier die Menschen in ihren alten Höhlenräumen, ohne Leitungswasser, elektrischen Strom und Kanalisation. Auch die für Kappadokien typischen bemalten Taubenschläge sind hier zu finden, aus denen die Bewohner den Guano als Dünger für ihre Felder entnahmen. Ein kleiner Einblick, wie vor Jahrhunderten die Vorfahren lebten. Und hoffentlich keine Vision einer grünen Zukunft der Energieeinsparung.

Trittsicher und schwindelfrei


Der beschwerliche Aufstieg auf den Felsen von Ortahisar


Der Felsen von Ortahisar

Nächste Station auf der Tour durch die Tuffstein-Mondlandschaften ist der Ort Ortahisar. Hier gibt es auch einen großen durchlöcherten Felsen, der über Treppen und Metallleitern teilweise im Innern zu ersteigen ist. Nach Zweidrittel der Strecke ist ein blaues Hinweisschild an einer Leiter angebracht mit dem Hinweis: From this point it is dangerous and forbidden to go up. Da weiß man, was Sache ist, trittsicher und schwindelfrei sollte man schon sein. Ich habe allerdings von den wenigen, die den mühevollen Aufstieg absolvierten, niemanden beobachtet, der an dieser Stelle umgekehrt ist. Auf der Spitze des Burgberges eine Türkei-Fahne, heftiger Wind und eine prächtige Aussicht.


Phantastische Sichten

Zum Abschluss der Tour führt die Straße von Göreme nach Uchisar an einem halben Dutzend kleiner Restaurants vorbei, die sich an den Rand einer tiefen Schlucht schmiegen. Sie offerieren alle Aussicht mit Tee und Kaffee türkisch und jede Menge Logenplätze, um die Landschaft der Zipfelmützen zu betrachten. Man kann sich daran nicht satt sehen.

Text und Fotos von Ronald Keusch

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